Spirituelle Wanderungen
Supereuphorie im Wald
„Vom vielen Pflastertreten wird die Seele krumm“, hat Erich Kästner einmal gesagt. Weil sich Jahrzehnte später daran offensichtlich nichts geändert hat, ließen sich fast 40 Wanderer zu einer Supereuphorie im Wald verführen. Im waldreichen Ohrnbachtal des Odenwalds animierte sie Kästners Worte, „ihre krumme Seele umzutauschen“. Die spirituelle Wanderung der Reihe GangART stand unter dem Motto “Über allen Gipfeln ist Ruh”. Dabei reichten Pfarrerin Regina Westphal, Diplom-Pädagogin Angela Ruland und der Schriftsteller Georg Magirius neben Kästner noch weitere poetische Gehhilfen. „Über Poesie kann man sich leicht in Fragen und Empfindungen eindenken, die in die Tiefe gehen“, sagte Regina Westphal. „Und das ist schließlich das Grundanliegen christlicher Verkündigung.“ An der Kreuzeiche, dem höchsten Punkt der Tour, spürte man in allen Wipfeln “kaum einen Hauch” und damit auch etwas von der von Goethe beschriebenen Gipfelruhe.
Supereuphorie im Wald mit Hänsel und Gretel
Durch Heidekraut, Brennnesseln, über aufgeweichten Moosboden und unter beachtlich hohen Bäumen kam man der „Supereuphorie“ dann auf die Spur. Von ihr erzählt Gabriele Wohmann in “Hänsel und Gretel verirrten sich Wald”. Während eines Wegabschnitts sagten die Teilnehmer kein einziges Wort. Und gingen in Gedanken mit Onkel J. aus Andreas Maiers 2010 veröffentlichten Roman “Das Zimmer” durch Herbstlaub. Das „färbt die Wege und Äste neben und über einem, so dass man wie durch einen Saal läuft, durch einen Herbstsaal.“ Der Stille folgte eine echte Predigt! Denn Angela Ruland ließ Hermann Hesse, den Literaturnobelpreisträger und Sohn eines Missionars, zu Wort kommen. Für ihn seien die Bäume immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Sie regen dazu an, “ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen.”
Unsterbliches Geschwätz der Nixe
Am Ende dann war der Weg nicht waldweich, sondern übersät mit spitzen Schottersteinen. Er endete am Ohrenbach, dessen hüpfender Klang ein Lied auf die Fantasie untermalte. „Als Vernunftwesen allein würde man beim Gehen schwieriger Wege vermutlich verzweifeln“, sagte Georg Magirius und trug ein Gedicht von Heinrich Heine vor. Es schildert die Flucht weg vom gelben Menschenneid in die grüne Waldeinsamkeit. Dort umflattern den Waldsüchtigen Elfen, dazu trällern und trillern Bach-Nixen, deren leicht stechender Blick süßes, doch tödliches Glück verheißt. Jedoch: “Meine unsterbliche Seele, glaubt mir’s, ward nie davon verletzt, was eine kleine Nixe geschwätzt.”