Liebesgeschichten

Paradies im Odenwald

Torte mit Rosen - ein Paradies im Odenwald ist das Literaturcafé in Höchst

Wo liegt das Paradies? Also der Ort, an dem man Weltoffenheit spürt, das Nahe aber nicht vergisst und dabei auf avantgardistische Weise verwurzelt ist? Nein! Gemeint ist keine Theater- und Museumsanhäufung wie Hamburg, Berlin, München oder Frankfurt am Main. Sondern ein Paradies im Odenwald ist gemeint. Im Odenwald feiert man Kartoffelwochen, eine Route mit E-Bike-Batterie-Aufladestationen ist gerade konzipiert worden und seit drei Jahren gibt es sogar eine Sommer-Rodelbahn. Aber auch um all das geht es nicht. Worum denn dann? Gemeint ist das Literaturcafé in Höchst. Das feiert am 13. Juni 2013 sein 15jähriges Bestehen mit einer Konzertlesung von Georg Magirius und der Harfenistin Bettina Linck. Ein Rückblick mit Fotos auf die Konzertlesung ist hier.

Frühstückshungrig und literaturkundig – Paradies im Odenwald

Es ist die 124. Veranstaltung des Literaturcafés, dessen Programm entschieden regional und waghalsig weitblickend ist. Also auf eine Weise vergnüglich, die den Ernst nicht scheut. Im Anfang steht dort nicht das Wort, kein Buch wird geöffnet, sondern das Frühstückbuffet eröffnet. Als beliebteste Veranstaltungsform hat sich im Lauf der 15 Jahre das Literaturfrühstück entpuppt. Garantiert gesättigt widmen sich dann die oft 100 Besucher einem Thema, das nicht theoretisch abgehandelt wird. Übersetzer, Liedermacher und Verlegerinnen berichten, lesen oder singen aus ihrer Werkstatt.

Der Odenwald in Beziehung zum Nicht-Odenwald

Man stellt vor und diskutiert, was literarisch en vogue ist, beispielsweise Tschick von Wolgang Herrndorf, Harry Potter oder Die Wand von Marlen Haushofer. Buchhändler zeigen lesenswerte Neuerscheinungen, außerdem gibt es Gesprächskonzerte. Moderne Klassiker wie Kaschnitz, Böll und Wolfgang Koeppen werden nicht vergessen. Oft tritt der Odenwald in eine ausdrückliche Beziehung zum Nicht-Odenwald: „Auswanderungen aus dem Odenwald“, kann es schon mal heißen, was nicht nur historisch gilt. Denn auch die Frühstückshungrigen und Literaturkundigen wandern bis an die Grenze dieses Mittelgebirgsregion und über sie hinaus. So gibt es Exkursionen nach Heppenheim, in den Darmstädter Park Rosenhöhe oder in die dortige Orangerie, in Gegenden also, deren literarische Farben erkundet werden.

Im Paradies im Odenwald spricht man Jiddisch, Französisch und die Odenwälder Mundart

Bettina Linck spielt im Paradies im Odenwald

Roter Kreis mit weißem Balken? Der ist tabu, Einbahnstraßen gibt es nicht. Also kommt die Welt, die jenseits des Odenwalds liegt, auch in die an der Mümling gelegene Stadt. Zum Beispiel Gabriele Wohmann, Stipendiatin der Villa Massimo in Rom, die unterdessen im Park Rosenhöhe lebt. Schauspieler vom Darmstädter Staatstheater sind zu hören. Und auch das Französische und Jiddische, deren Einfluss auf die Odenwälder Mundart man lauscht. Der indische Schriftsteller Rabindranath Tagore war auch schon Thema, nicht nur Autor, sondern auch ein Philosoph. Überhaupt geht es oft um die Liebe zur Weisheit. Und die Literatur? Sie kann laut Referent Frank Meessen sogar „Lebenshilfe“ sein.

Paradies im Odenwald: Wilde Weiber und zahme Damen

Pädagogisierend oder ratgeberhaft ist diese Lebenshilfe gewiss nicht gemeint. Denn die Cafétür öffnet man auch jugendlich-rebellisch klingenden Werken wie „Der Fänger im Roggen“. Aber nicht nur Jungs dürfen an diesem paradiesischen Ort literarisch oder unliterarisch austicken! Schließlich gerät auch die Rolle der gar nicht immer braven Mädchen respektive Frauen in den Blick. Debattiert wird, ob Christiane Vulpius Goethes Bettschatz oder doch eher emanzipierte Frau war. Und Liliane Spandl-Wildner, Autorin und Verlegerin, erzählt „Von wilden Weibern und zahmen Damen“.  

Von frechen und schüchtern wirkenden Mädchen

Um Wildes geht es auch beim Jubiläumsfrühstück „15 Jahre Literaturcafé“, nämlich um forsche Damen, verwegene Weiber und um Mädchen, die irritierend frech sind und nur schüchtern wirken. Aber! Da ist auch die Rede ist von schmalen Jungs, die große Steine heben. Dazu von Feuerwerkern und Fischleberröstern, fragelustigen Einzelgängern und seltsamen Gentlemen, deren Art der Kommunikation übergangslos zwischen Flut und Ebbe pendelt. Und alle sie? Bleiben nicht streng getrennt! So kommt es zu heftigen, kuriosen und liebevollen Entzündungen.

Die Bahn über das Himbächlviadukt zum Paradies im Odenwald, dem Literaturacfé in Höchst

Zirzensische Attraktion

Georg Magirius, der nicht im Odenwald, aber an der Strecke der Odenwaldbahn lebt und mit ihr fährt, liest aus „Traumhaft schlägt das Herz der Liebe“. Dazu tritt der Klang der Harfe, deren Saiten Bettina Linck so mitreißend zu bewegen versteht, dass tatsächlich mitunter eine Seite knallend reißt. (Diese zirzensische Attraktion ist freilich – anders als das Frühstück – nicht gartantiert im Eintrittspreis enthalten.)

Kratzen am Konsum

Über Magirius‘ aktuelle Veröffentlichung urteilt Hans Baumgartner am 04. Juni 2013 in den Kirchenzeitungen von Linz, Eisenstadt, Feldkirch und Innsbruck: “Den ‘Stoff’, aus dem er seine Geschichten webt, holt sich Georg Magirius häufig aus der Bibel. Doch dann versetzt er Adam und Eva, Sara und Abraham und viele andere mit Witz und Fabulierlust in heutige Szenen und Vorstellungswelten. Und er kratzt dabei an gängigen Konsumbildern ebenso wie an gewohnten Glaubensbildern.“ Dieses Verpflanzen geschehe nicht brachial, meint der Theologe und Pädagoge Reiner Andreas Neuschäfer über das Buch, denn: „Der Autor versteht es, voller feiner Nuancen und fantastischer Formulierungen seine Einsichten und Ansichten zur Sprache zu bringen.”

Liebesgeschichten im Literaturcafé, im Buch und Hörfunk

Cover des Buches "Traumhaft schlägt das Herz der Liebe" - Das Buch von Georg Magirius ist die Inspirationsquelle der Konzertlesung "Mineralsalzkuss und Luftsprudelliebe"

Georg Magirius liest aus „Traumhaft schlägt das Herz der Liebe“ am 13. Juni 2013 im Literaturcafé in Höchst, Böltener Straße 14. Bettina Linck interpretiert die Erzählungen musikalisch. Die Erzählung von der frechen und nur schüchtern wirkenden Weingummiliebhaberin Maria und dem kommunikativ zwischen Ebbe und Flut pendelnden Open-Air-Erzähler hat übrigens der Deutschlandfunk gesendet. Sie ist kostenfrei zu hören hier. Unter anderen Rachel Mundiyanapurath, Gerda Treu, Doris Hofferberth, Brita Höchst-Disselkamp organisieren das Literturcafé in Zusammenarbeitet mit der Katholischen Erwachsenenbildung und dem Katholischen Bildungswerk. Das Buch “Traumhaft schlägt das Herz der Liebe” hat Georg Magirius im Echter Verlag veröffentlicht. Es hat 160 Seiten, außerdem viele farbige Abbildungen von Marc Chagall. Heribert Handwerk hat es übrigens lektoriert. Es kostet 14 Euro 90. Und die ISBN-Nummer lautet 978-3429035853. Weitere Informationen und Pressestimmen sind hier.