Liebesgeschichten
Vom Glück ohne Ende
„Käferjahr“, das neue Buch von Marissa Conrady, erzählt vom Glück ohne Ende. Die Geschichte klingt eigenwillig wundervoll, weil sie Wunden nicht verschweigt. Mit Heiterkeit allein lässt sich das Glück jedenfalls nicht verwechseln, mag es auch heitere Passagen in der zwischen Mannheim, Heilbronn, Odenwald und Köln spielenden Geschichte geben. Und auch mit der Liebe lässt sich das Glück nicht verwechseln, weil sich beides gar nicht unterscheidet, beides fällt zusammen. Malina, die Protagonistin, gibt von Anfang an in ihrem Leben dem großen Wünschen einen Platz. Sie verteidigt es auch gegen Widerstand, wie etwa den der Mutter: „Immer wieder hatte sie mir den Gebrauch des Wortes Glück vorgeworfen.“ Und dann? Es ist ganz einfach. Ein Mann, eine Frau. Dann wird es noch einfacher – und ungeheuer kompliziert, ohne dass das Komplizierte wiederum das Glück schmälern könnte. Das ist es ja gerade! Malina hat eine so unvorstellbar große Begabung fürs Schöne, dass sie es nicht relativieren kann. So fallen nicht nur Glück und ihre Liebe zu Mann Renja zusammen, sondern beides wiederum auch noch mit dem Schmerz.
Vom Glück ohne Ende – und dem Schmerz
Der Schmerz ist schneidend, weil diese Glückserfahrung frei von jeder Trübung ist. Viel zu intensiv, vollendet, frei und leicht und tief, als dass das Glück an ein Ende kommen könnte. Das geschieht auch dann nicht, als die sogenannte Realität das kribbelnde Käferjahr für beendet erklärt hat. „Wir wollen keine Wundmale, die uns erinnern an Demütigungen und Verfehlungen, nicht einmal an das schönste Gefühl unseres Lebens, die Liebe.“ Malina aber schon: „Ich wollte mir wehtun.“
Glücksgefahr
„Käferjahr“ ist ein schwebend leicht erzählter Aufstand gegen das Diktum des Endes. Er tut weh, indem er beglückt. Wenigstens jener Leser wird davon etwas spüren, der mit Sehnsucht, Liebe und Risiko durchs Leben gehen will. Marissa Conrady, die Germanistin ist, hat außerdem eine Sprache für etwas gefunden, das auf keinen Begriff zu bringen ist. Auch nicht auf den der Mediziner oder Psychologen: Selbstverletzung. Wie aber gelingt es, Worte zu finden für diese im Umgangsgespräch kaum zu benennende Glücksgefahr, dieses Ineinander von Erleichterung und Schmerz, von Vergeblichkeit und Erfüllung? Es geschieht, indem die Autorin Gefühle, Sätze, Bedeutungen, das Zeitmaß aus dem Griff des zu Erwartetenden entwindet. Sie kommt also erst gar nicht mit Definitionen. Positiv gesagt ist das poetisch.
Es bleibt dabei
So schützt die Geschichte das Große, streckt sich aus nach ihm, das nicht kommt. Sondern längst schon war und noch immer ist. Bewahrt und erneut geboren im erinnernden Erzählen, das viel mehr als nur ein Erinnern, sondern gegenwärtig ist. Es bleibt dabei, ob am Anfang oder am Ende, wobei man gar nicht immer weiß, wo genau nun das Ende und der Anfang ist: Die Protagonistin will nicht weniger als alles. Es ist die Kunst der Autorin, dass sie, indem sie mit diesem Maßstab den Leser fasziniert, ihn auch zum Weiterwollen bringen kann. Von der Sehnsucht nach dem Allumfassenden angesteckt, lässt sich zum Beispiel fragen: Könnte die Frau ihren Schmerz – zumindest in der Phantasie – nicht nur an sich selbst, sondern auch an den Geliebten adressieren? Diesem würde sonst womöglich etwas fehlen.
Marissa Conrady, Käferjahr, Epubli. Weitere Informationen zum Buch und Bestellmöglichkeit sind hier. Zur Website von Marissa Conrady geht es hier.