Biblisches

Abflug ins Glück

Die Taube mit dem Ölblatt im Mund ziert als Aufklebermotiv viele Au­tos. Auch auf Altartüchern und in Kirchenfenstern ist es zu sehen. Es das Zei­chen von politisch engagierten Gruppen, die eine große Hoffnung verfolgen. Noah aber, der die Taube ausgesandt hat, gründet keine Hoffnungsorganisation, sondern wartet. Georg Magirius hat den Beitrag “Abflug ins Glück” über die Taube aus der biblischen Noahgeschichte im Sonntagsgruß vom 2. Februar 2014 veröffentlicht. Es handelt sich dabei um eine Zeitschrift im Gütersloher Verlagshaus. Die Redaktion hat Monika Hovell.

Der Beitrag “Abflug ins Glück”

„Aber er harrte noch weitere sieben Tage und ließ eine Taube ausfliegen; die kam nicht wieder zu ihm.“ 1. Mose 8,12

„Sie kam nicht wieder zu ihm.“ Manchmal kann ein einziger Satz die Größe des Schmerzes ahnen lassen. Einfach nur, indem er den Verlust konstatiert, ohne die Gefühle beschreiben zu müssen, die damit verbunden sind. Was aber soll man in solch einem Fall sagen? Mir fällt dann so gut wie gar nichts ein. „Mein herzliches Beileid“, heißt es etwa. Oder man reicht eine Blume, schickt eine Karte: Zeichen der Verbundenheit, die den Adressaten jedoch gewiss nicht ganz zufriedenstellen. Denn wie könnte sich Frieden einstellen, wenn die Gedanken zirkulieren? „Frage nicht nach dem Warum!“, wird diesem dann mitunter geraten. „Du wirst keine Antwort bekommen.“ Doch auch wenn man keine Antwort findet: Ist es nicht menschlich, immer wieder einmal danach zu fragen, warum etwa Gott von ihm geschaffene Leben vernichtet?

Das Leben wird einen Fortgang finden

Wie auch immer: Es wäre nicht verkehrt, wenn man die Ahnung bekommen könnte: Ein Weiterleben trotz allem ist nicht sinnlos. Nur wie sollen Worte oder Zeichen beschaffen sein, die jemanden ermutigen, den Fuß noch einmal vor die Tür zu setzen? Sie sollten den Verlust nicht wegwischen oder verharmlosen. Ich zumindest würde den Hoffnungsboten nicht folgen, die den Schmerz bagatellisieren. So erscheint mir auch glaubwürdig, wie die Bibel von Noahs Überleben erzählt.

Nach kaum greifbar langer Zeit ohne festen Boden unter den Füßen ahnt er: Das Leben wird einen Fortgang finden. In der Arche erlebte er mit vielen Tieren, wie die Erde unter Wassermassen verschwand – und mit ihr alles Leben. Wie sollte es da noch Aussicht geben? Allenfalls durch ein Fensterchen ließe sie sich erblicken. Und tatsächlich: Eine ellengroße Luke ist in die Arche eingebaut. Sie bietet nur dann Ausblick, wenn man sie öffnet. Denn Glasfenster hat es zu Noahs Zeiten nicht gegeben.

Eine anrührende Geste

Als der Holzkasten auf dem Berg Ararat gestrandet ist, öffnet der Kapitän die Luke. Er sieht kein Leben. Stattdessen? Wasser. Dann sendet er einen Raben aus. Er kommt nicht zurück, sondern „flog immer hin und her, bis die Wasser vertrockneten“, heißt es. Das allerdings erfährt nur der Leser. Zu Noahs Zeiten gab es ja noch keine Bibel. Er kann also nichts vom Überleben des Raben wissen. Dessen Nie-wieder-Kommen wird Noah nicht unbedingt als positives Zeichen gedeutet haben, nach allem, was er bisher erleben musste.

Hat der Rabe nicht zurückgefunden? Oder wollte er nicht zurück, weil die Arche für einen Vogel kaum mehr als ein Käfig war? Womöglich hat der Rabe erschöpft notlanden müssen, könnte Noah überlegt haben: Auf dem Wasser, das dem Vogel dann doch keinen Halt gegeben hat. Weitere Tage wartet Noah in der Arche, in der es ziemlich dunkel gewesen sein dürfte, weil es eben nur dieses eine Fenster als Verbindung zur Welt da draußen gab. Dann schickt er eine Taube los. Und sie? Kommt zurück! Noah streckt die Hand aus, holt sie wieder herein. Eine anrührende Geste.

Abflug ins Glück

Vermutlich wird er auch mehr als einmal an der Luke gestanden haben, um zu schauen, ob er sie im Leben noch einmal wiedersehen wird. Sie aber, sie kommt zurück, anders als der Rabe. Nur besagt das auch, dass die Erde – selbst wenn es inzwischen nicht mehr regnet – unbewohnbar ist. Und wieder passiert nichts. Tage vergehen. Dann schickt Noah die Taube wieder fort. Erneut kommt sie zurück – diesmal hat sie ein Ölblatt im Schnabel. Dieses Blatt ziert als Aufklebermotiv nicht wenige Autos. Auch auf Altartüchern und in Kirchenfenstern ist es zu sehen, zudem ist es das Zeichen nicht weniger politisch engagierter Gruppen, die eine große Hoffnung verfolgen.

Noah aber gründet keine Hoffnungsorganisation, auch wenn er jetzt weiß, dass Wasser sich verlaufen können. So leicht kommt ein Überlebender nicht wieder auf die Füße. Weitere Tage harrt Noah aus. Dann sendet er zum dritten Mal die Taube aus. Und mit einem Mal ist alles anders, die Welt steht Kopf. Es fällt ein Satz, der von einer fantastischen Leichtigkeit getragen ist. Sie ist spürbar, gerade weil nicht so getan wird, als ob es die vorherige Vernichtung des Lebens nicht gegeben hätte. Das ist es ja! Der Satz macht Hoffnung, indem er sich gerade jener Worte bedient, die für die Hoffnungslosigkeit reserviert gewesen zu sein schienen. Denn was ist mit der Taube jetzt? „Sie kam nicht wieder zu ihm.“