Biblisches, Stille
Comeback im Abseits
Ausgerechnet im Abseits erreiche das Leben seine Unverwechselbarkeit, meint der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius. Denn das Leben beziehe Kraft aus Wüstenzeiten. Also aus Abkehr, Wildnis und der Stille. Magirius hat den Beitrag über das “Comeback im Abseits” veröffentlicht in der Evangelischen Zeitung für Niedersachsen und Norddeutschland am 24. Januar 2014. Die Redaktion hat Sven Kriszio.
Der Beitrag “Comeback im Abseits”
Kann man ein einfaches Leben führen und sich dabei auf Jesus berufen? „Aber er hat doch selbst im Wohlstand gelebt“, mag man einwerfen. Neue sozialgeschichtliche Untersuchungen bestätigen nämlich: Jesus hat in einem ehrenwerten Handwerk gearbeitet, sein Einkommen über dem Durchschnitt gelegen. Die Bibel aber interessiert das kaum. Stattdessen erzählen die Evangelien von einem Reichtum, den der Mittelständler Jesus geschenkt bekam, als er ins Abseits wanderte. Und das in einer Lebensphase, als ihn ein enormes Renomee erwartete. Bevor Jesus ausschert, ist er von Johannes, einem großen Prediger, getauft worden: „Dieser wird größer als ich“, sagt der weithin bekannte und beliebte Täufer. Der Himmel öffnet sich, und der göttliche Geist senkt sich auf Jesus. Wohin leitet er ihn? In die Wüste, für 40 Tage.
Der Vorhang hebt sich also gleichsam. Jesus braucht nur noch einen kleinen Schritt auf die Bühne hinaufzugehen, wo Erfolg und Größe warten! Er aber unterwandert die Konvention, um einen Reichtum der Einfachheit zu entdecken, den womöglich nur Extremerfahrungen bescheren können. Die Geschichte kann diejenigen aufhorchen lassen, die das Abseits suchen. Oder unfreiwillig in die Wüste geraten und nun nicht weiter wissen. Denn auch Jesus wusste nicht, was kommt. Die Wüste war überhaupt gar nicht gemütlich, biblisch betrachtet gilt sie als Gefahrenort. Allerdings könne einem Gott dort näher kommen als sonst, glaubte man.
Faible für andere Dimensionen
Was Jesus jetzt tut, ist – nichts zu tun. Er schreibt nicht, plant nicht. Er harrt aus – am Ende jener Welt, zu deren Selbstverständnis es gehört, dass Rückzug etwas für Verlierer ist. Jesus ist fern der Menschen und lebt nun „bei den wilden Tieren“. Indem er in die Einsamkeit wandert, kann er sich entgrenzen. Da ist nicht nur das Nichts. Sondern? Stille, Andersartigkeit – und ein Faible für neue Dimensionen. Die ungeheuerliche Erweiterung des Lebens stellt sich aber nicht spielend ein. Sie kostet zwar nichts, muss jedoch errungen werden.
Die Stille, auf die man stößt, ist auch nicht unbedingt jene Ruhe, die man sich oft wünscht – als Erholung inmitten von Lärm, der einen umspült. Stattdessen erwarten einen Kämpfe, die laut Matthäusevangelium sogar das Ziel dieses antizivilisatorischen Aktes ist! Denn der Geist habe Jesus in die Wüste geführt, „damit er von dem Teufel versucht würde.“ Auch wer heute in die Stille gerät, kann heftige Stimmen hören: Ratschläge, Beurteilungen, Tadel, Vorschriften, Spott und Lachen, dazu der eigene Zweifel auf dem Weg ins Abgelegene.
Der Teufel argumentiert mit der Bibel
Es ist das Echo der Geschäftigkeit, das in der Stille oft viel stärker zu hören ist. Lässt sich das nun als Gewinn bezeichnen? Kaum kann man sich gegen diese Stimmen wehren. Jesus, der Ex-Mittelständler, schützt sich, indem er sich enthält. Das allerdings scheint ein Geschenk von extravaganter Natur zu sein. Denn das Fasten lehrt ihn einen Hunger. Sehnsucht wächst. Und die sonst überlagerte innere Stimme wird stark. Der Widersacher freilich argumentiert gegen diese starke Stimme an – sogar mit der Bibel!
Ein Leben ohne Wüstenzeiten sei möglich, sagt er. Und will dem Wüsteninsassen ein Leben auf Engelsflügeln schenken. Auf Teufel komm raus wird da eine Welt verteidigt, in der alles easy sein soll. Selbst das Pilgern, eine Outdoor-Erfahrung par excellence, wird heute als “in” gepriesen. Dabei ist doch der Widerstand deutlich zu hören, wenn man sich dem oft erbittert geführten Kampf um Wohlstand selbst nur für wenige Tage entzieht: „Glaubst du etwa, von Sehnsucht und Hunger leben zu können?“ Und was antwortet Jesus? Ja, das glaube ich.
Die Freude aus der Wüste
Jesus lehnt es ab, sich auf den Händen der Engel durchs Leben tragen zu lassen. Angebetet würde dann ein Versorgergott, ein Leben ohne Abseits und Gefahr. Verloren gingen damit aber auch Wüstenzeiten, jede Form von Ausbruch, Aufbruch, Umbruch – alles Signaturen eines Gottes, der sich in der Wüste als ein Freund tiefer Verwandlung entpuppt.
Wer 40 Tage oder länger im Abseits ausharrt, scheint für andere am Ende zu sein. Dabei schenkt sich ausgerechnet dort ein Anfang. Im Wohlstand, auf dem Marktplatz der Eitelkeiten und beim handelsüblich abgesicherten Austausch limitierter Freundlichkeiten im Schoß der Gruppe hört man den Klang der inneren Stimme oft nicht mehr. In der Wüste aber kommt sie frei. „Da traten Engel zu Jesus und dienten ihm“, heißt es, als die 40 Tage zu Ende gehen. Ein Leben auf Engelsflügeln hatte Jesus abgewehrt. Nun aber kommen diese von sich aus, ungerufen. Und sie dienen Jesus und einer Freude, die ohne Wildnis womöglich nie geboren werden könnte.
Comeback im Abseits: Das Buch “Vom Reichtum des einfachen Lebens”
Der Beitrag ist inspiriert vom Buch “Vom Reichtum des einfachen Lebens – auf den Spuren Jesu Alternativen entdecken”. Georg Magirius hat es im Matthias-Grünewald-Verlag veröfentlicht. Es hat 172 Seiten und kostet 14 Euro 80. Dr. Marc Kerling hat es übrigens lektoriert. Die ISBN-Nummer lautet 3-7867-2596-9. Weitere Informationen und Pressestimmen sind hier.