Biblisches
Der wunderbare Geschmack von altem Brot
Wer in Bäckereien geht, muss die Vokabeln können. Welche Vokabeln? Die für die Brötchensorten. Sofort gilt es, die exakte Bezeichung der bisweilen exotischen Brötchensorten mitsamt der dazugehörigen Stückzahl zu nennen. Sonst kann es zu einem Missmutsanfall der Verkäuferin kommen. Wer in der Bäckereifiliale beim nächsten Vokabeltest wieder einmal durchfallen sollte, hat trotzdem eine Überlebenschance: Altes Brot. Eine Hymne von Georg Magirius auf einen außergewöhnlich einfachen Genuss. Er hat den Beitrag “Der wunderbare Geschmack von altem Brot” veröffentlicht im Sonntagsgruß vom 23. März 2014. Beim Sonntagsgruß handelt es sich um eine Zeitschrift im Gütersloher Verlagshaus. Die Redaktion hat Monika Hovell.
Der Beitrag “Der wunderbare Geschmack von altem Brot”
“Und er legte sich hin und schief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! “
Der Spaziergang dauert exakt 2 Minuten und 45 Sekunden. Wenigstens war es so beim letzten Mal, als ich infolge meines ausgeprägten Interesses an Kleinigkeiten die Zeit mit der Armbanduhr stoppte. Gemeint ist der Weg am Samstagmorgen von der Haustür bis zum Surren der sich automatisch öffnenden Tür, die hörbar macht: Der Kunde ist die Bäckereifiliale eingetreten. Und dann? Den Spaziergänger empfängt der Duft frischer Brötchen, der sich mit dem von Kuchen und Brot vermischt. Brötchen, Kuchen, Brot – das ist jetzt natürlich furchtbar verallgemeinernd ausgedrückt! Furchtbar findet es nämlich die Bäckereiverkäuferin, wenn man nicht sofort die exakte Bezeichnung für die Brötchensorten in Kombination mit einer Stückzahl ausspricht. Selbst ein geringfügiges Zögern kann zu einem Missmutsanfall der Verkäuferin führen, weil es das Verkaufstempo stoppt.
Vokabeln für den Bäckereibesuch
„Lerne gefälligst deine Vokabeln!“, habe ich mich schon oft ermahnt. Welche? Die Brötchensorten-Vokabeln. Um eine Vokabelliste erstellen zu können, müsste ich am besten von jeder Sorte ein Foto machen, dann die dazugehörigen Namen der bisweilen exotischen Brötchen recherchieren. Und so lange pauken, bis ich die Namen selbst dann aus dem Mund schnellen lassen kann, wenn ich aus dem Schlaf geschreckt werde. Oft kauft man Brötchen ja noch im Halbschlaf. Nur vergesse ich jedes Mal den Fotoapparat. „Ein Mohnbrötchen“, sage ich deshalb schlicht. Oder: „Zwei Laugenbrötchen.“ Aber selbst diese Sorte ist vor Zweideutigkeiten nicht sicher. Bedrohlich runzelt die Herrscherin über die Brötchen die Stirn, vermutlich weil dieses Backwerk auch unter dem Namen Laugenknoten firmieren kann.
Die Müdigkeit des Elia
Der Duft frisch gebackener Brötchen ermuntert. Die mit dem Kauf verbundenden Anforderungen erschöpfen aber zuweilen schon am Morgen. Übertreibe ich? Nein! Die Dauer des Rückwegs, den ich beim letzten Mal ebenfalls stoppte, betrug 3 Minuten und 10 Sekunden: Ich benötigte also für dieselbe Streckenlänge 25 Sekunden mehr als beim Hinweg. Das kann man doch nicht nur dem Gewicht der Brötchentüte zuschreiben! Wenn ein Spaziergang bereits müde machen kann, wie soll man dann eigentlich einen Weg von mehreren Tagen oder gar Wochen zurücklegen? Das fragte sich gewiss auch Elia, der keine Lust mehr aufs Gehen hatte. Der Prophet lag in der Wüste unter einem Wacholder, wollte sterben, erzählt die Bibel. Am Karmel war er den Baalspropheten entgegengetreten, 450 hatte er getötet. Danach war er 150 Kilometer gelaufen – bis nach Beerscheba. Und er wusste: Die Königin, die mit den Baalspropheten sympathisiert hatte, will an sein Leben.
Alles ist getan
Solch eine abenteuerliche Biographie hat nicht jeder. Doch wer schon einmal ähnlich müde wie Elia war, den wird es gewiss interessieren, ob und wie dieser noch einmal auf die Beine kam. Erzählt wird, dass ein Engel ihn im Schlaf berührte. Das aber hilft nicht – wenigstens nicht nur. Sondern? Der Erschöpfte isst und trinkt. Er selbst muss dabei nichts besorgen, auch nicht zwischen unüberblickbar vielen Brötchensorten wählen. Stattdessen: Alles ist getan. Der Krug mit Wasser und das Brot – direkt neben ihm. Er isst, trinkt, schläft sofort wieder ein. Erneut rührt ihn der Engel an. Elia isst, trinkt noch einmal. Und dann? 40 Tage und Nächte sei er „durch die Kraft dieser Speise“ durch die Wüste weitergewandert. Es wird auch an der Art des Brots gelegen haben, die ihm diese Kraft bescherte: Es war nicht frisch gebacken, sondern geröstet. Kein exotisches Brötchen! Also nichts Besonderes. Oder doch! Der Duft verriet: Da ist jemand, der sich genau jetzt um dich kümmert. Denn das Brot war geröstet, warm und weich genug, um es essen zu können.
Das ist für dich
Ist das der Grund, warum getoastetes Brot in einen Geborgenheitsrausch versetzen kann? Es gilt nicht als Delikatesse. Oft röstet oder toastet man Brot eher aus Verlegenheit, weil es schon ein wenig hart geworden ist. Trotzdem war es belebend,wenn meine Großmutter das Brot auf dem Toaster legte. Kenntnisreich balancierte sie es hin und her. War der Feuervorgang abgeschlossen, bekam man es rasch gereicht, möglichst gleich musste es mit Butter bestrichen und gegessen werden. Das Schönste aber war: Ich erhielt es, ohne dass ich dafür einen Namen hätte wissen müssen. Denn sie war es, die sprach: Das ist für dich.