Biblisches

Die Autorität der Bartlosen und Ratlosen

Was verleiht Autorität? Ist es die Körpergröße? Spielt auch die Art des Bartwuchses eine Rolle, wie sie dem langjährigen Bundeskanzler Helmut Kohl eigen war? Wobei man ergänzen muss, dass er es selbst war, der auf die ungeheuere Verlängerung seiner Barthaare innerhalb kürzester Zeit aufmerksam machte. Sind auch Stimme und Schlagfertigkeit wichtig? Georg Magirius gibt Antworten in seinem Beitrag “Die Autorität der Bartlosen und Ratlosen”. Er hat ihn im Sonntagsgruß vom 4. Mai 2014 veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine Zeitschrift im Gütersloher Verlagshaus. Die Redaktion hat Monika Hovell.

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„Selbermachen“, rufen kleine Kinder schon, wenn sie noch gar nicht in ganzen Sätzen sprechen können. Denn die Lust am Entdecken ist groß. Sie treibt auch Jugendliche an, wenn sie das erste Mal ohne Eltern auf Reisen gehen. Kürzlich hat ein Pfarrer ergründet: Junge Leute machen überragende Erfahrungen, wenn sie für 24 Stunden in den Wald aufbrechen, jeder für sich. Wie nennt sich das? Konfirmandenunterricht. Damit nicht genug, viele Schüler träumen nicht nur von solch einer Freiheit für 24 Stunden, sondern von jenem Tag, an dem alles Unterrichten beendet ist.

Fällt nun aber die Schulpflicht weg, ist der Freiheitsdrang offenbar schon gar nicht mehr so groß. Als Indiz mag dienen: Die Zahl der Selbständigen in Deutschland ist klein. Oder wollen viele durchaus Selbermacher sein, trauen es sich nur nicht zu? Nein, eine Umfrage ergab, las ich kürzlich: Die meisten seien mit ihrem Beruf zufrieden. Sie träumen nicht davon, selbstständig zu werden. Und auch die Partei der Freidemokraten, die das Selbermachen quasi im Parteinamen trägt, ist nicht gerade im Aufschwung.

Hoffnung auf eine besondere Autoriät

Es scheint sogar umgekehrt ein Wunsch zu sein, gerade nicht alles selbst zu machen. Warum? Womöglich einfach deshalb, weil man nicht alles selber hinbekommen kann. Deswegen hält man auch Ausschau nach jemandem, der Orientierung gibt und dem man sich anvertrauen kann. Er soll mit mir gehen – und am besten auch dann bei mir sein, wenn ich nicht gut gehen, vielleicht nur sitzen oder liegen kann. Noch besser: Wenn dieser Mensch all das in Ordnung bringen könnte, was in mir aus der Ordnung geraten ist. Das wäre stark: Wenn er mir Ruhe gibt, wenn es in mir unruhig ist. Mit diesem Wunsch ist der beste Freund, die gute Nachbarin oder auch ein liebevoller Partner häufig überfordert. Also sucht man weiter, hofft auf eine besondere Autorität.

Was aber ist es genau, das das Gefühl vermittelt, dieser Mensch zeigt eine Richtung, die mich Stärke ahnen lässt? Als Kriterium für Autorität wird oft Unternehmungskraft genannt. Der Schlagfertige kann mich aus misslichen Situationen herausboxen! Zum Beispiel, wenn man sich überfordert fühlt, weil die Krankenkasse sich wieder einmal nicht so verhält, wie es eigentlich angemessen wäre.

Helmut Kohl: Ich bin extrem männlich

Anderen gilt Größe als vertrauenerweckend, und zwar ganz konkret. Der langjährige Bundeskanzler Helmut Kohl maß ziemlich viele Zentimeter und wirkte auch sonst körperlich mächtig. Also hatten allein dadurch viele das Gefühl: Er zeigt uns Wege, die gangbar sind. Genoss er auch Vertrauen, weil er sehr männlich war? Zumindest wies er selbst darauf hin, dass er nicht wie ein gewöhnlicher Mann allein morgens, sondern auch abends – ja was eigentlich? Also nicht nur morgens, sondern auch abends, also zwei Mal am Tage habe er sich rasieren müssen. So extrem war die Geschwindigkeit, mit dem des Kanzlers Barthaare wuchsen.

Mir selbst bedeutet der Klang einer Stimme viel: Es gibt Stimmen, die machen mich nervös. In ihrer Nähe fände ich keine Ruhe. Kurioserweise finde ich eine Stimme kraftvoll, über die andere sagen: Warum leuchtet die denn nicht! Die Stimme leuchtet schon, finde ich, bloß hat sie nicht die Eigenart, Wörter wie Pistolenschüsse aus dem Mund zu katapultieren. Sie gewinnt Glanz, indem sie auf tiefe Weise Atem holt. Ihre Überlegenheit zeigt sich, weil da jemand auch mal überlegt. Dann wieder beginnt ein Satz, der nicht zu Ende gebracht wird. Das wirkt auf mich stark.

Die Autorität der Bartlosen und Ratlosen

Im Hebräerbrief ist von einem Menschen die Rede, der mir Vertrauen einflößt. Er sei Hirte, heißt es da. (Hebräer 13,20) Aber nicht irgendeiner! Er habe eine außerge-wöhnliche Autorität. Er wird „der “große Hirte der Schafe“ genannt. Seine Größe besteht nicht darin, dass er heftigen Bartwuchs hat, wenigstens ist davon nicht die Rede. Auch leuchtet er nicht auf die übliche Weise. Es ist kurios: Obwohl er ein Hirte ist, wird er selbst geführt, heißt es. Der Gott des Friedens habe ihn von den Toten hinaufgeführt. Wird er deshalb groß genannt? Kann er Orientierung geben, weil er jemanden benötigte, der ihn aus der Ohnmacht herausführte? Die größten Wegbegleiter sind womöglich jene, die nicht an jeder Ecke sofort und immer weiterwissen.