Allgemein
Davonlaufen können
Was viele als völlig unspektakulär empfinden, ist für den Schriftsteller Lorenz Marti ein vitales Bedürfnis: das Spazierengehen. “Ich könnte auch sagen, ich sei ein Wanderer”, sagt er in der Evangelischen Zeitung im Norden vom 12. April 2015. “Aber das gefällt mir nicht so sehr, weil man da gleich wieder an lange Strecken denkt, da schwingt etwas Leistungsmäßiges mit. Wandern klingt nach Sport und Ziel. Ich gehe auch schnell. Dennoch hat das Spazierengehen etwas Gemächliches für mich, man nimmt sich Zeit. Es hat etwas Zielloses.”
Davon laufen können: Und zwar ohne rote Socken
Der Gewinn der Ziellosigkeit sei Freiheit. “Ich kann, wenn ich Zeit habe, gehen, wohin ich will. Und ich kann davonlaufen.” Das habe einen schlechten Ruf, für ihn sei es jedoch befreiend: “Ich muss mir immer wieder einmal davonlaufen, das ist eine Entlastung. Ich befreie mich im Gehen von mir selbst und nehme mich dann nicht mehr so wichtig.” Am liebsten sei er allein unterwegs. Auch mit Freunden gehe er, aber nur zu zweit. “Diese plaudernden Gruppen! Diese Wandervereine. Wenn sie da mit ihren karierten Hemden und roten Socken kommen, diese Lautstärke!” Das Gehen könne etwas Meditatives haben. “Ich komme leichter zur Ruhe als im Sitzen, das vielen als klassische Meditationshaltung gilt. Das Gehen ist für mich ideal. Aber ich nehme es mir nun auch nicht vor. Ich sage nicht: Ich will jetzt meditieren. Ich gehe einfach.”
Das Interview mit Lorenz Marti
Das vollständige Interview von Georg Magirius mit Lorenz Marti im Dossier Gehen der Evangelischen Zeitung ist hier. Die Redaktion hat Sven Kriszio. Der Schriftsteller Lorenz Marti lebte in Bern. 2020 ist er gestorben. Von ihm ist unter anderem erschienen: Mystik an der Leine des Alltäglichen, Herder Verlag 9,99 €.