Abschied

Unfassbar lebendig – Gabriele Wohmann

Unfassbar lebendig - Gabriele Wohmann Foto - Copyright: Georg Magirius

Sie wollte das Höchste, indem sie Winziges in den Blick nahm. Gabriele Wohmann wurde vielfach ausgezeichnet. Ihr Interesse allerdings galt den Vereinzelten. Am 22. Juni 2015 ist die Schriftstellerin in Darmstadt gestorben. Zwei ihrer letzten großen Auftritte hatte die Schriftstellerin in Frankfurt. Georg Magirius schreibt über die Sehnsucht nach dem Grenzenlosen und Wohmanns Sympathie für jene, die an Grenzen stoßen. Er hat seinen Beitrag “Unfassbar lebendig – Gabriele Wohmann” im Evangelischen Frankfurt am 28. Juni 2015 veröffentlicht. Die Redaktion hat Antje Schrupp.

Der Beitrag “Unfassbar lebendig – Gabriele Wohmann”

Im Mai 2012 schritt sie kurz nach ihrem 80. Geburtstag im Frankfurter Literaturhaus in 90 Minuten durch ihr gesamtes Werk. Ziemlich genau 45 Sekunden hatte sie damit Zeit für jedes ihrer Bücher – durchschnittlich betrachtet. Sie löste die Vorgabe so pointiert, dass sie noch nicht einmal die ausgiebigen Lachanfälle im Publikum unterbrechen musste. Sie galt eben als Meisterin der Lakonie, als „unangefochtene Königin der Kurzgeschichte“. Mehr als 600 Erzählungen hat sie veröffentlicht. Mit ihren auf elegante Weise mäandernden Romanen war sie nicht gerade weniger erfolgreich: „Paulinchen war allein zu Haus“ erzielte etwa mehr als 20 Auflagen. Dazu schrieb sie Essays, Lyrik, Hörspiele. Und auch ihre Filme erreichten mehrere Millionen Augenpaare. In 15 Sprachen ist sie übersetzt.

Vielseitig

Sie habe ihre Themen eben kaum variiert, hieß es, als die Vielgelesene der 70er, 80er und 90er Jahre nicht mehr eine ganz so üppige Aufmerksamkeit erreichte. Eine Rezensentin, die ihr Werk über Jahre begleitete, fand dafür eine Begründung, die auch andere Rezensenten anführten. Offenbar hatte man sich geeinigt, um angesichts von Wohmanns vielseitigen Werk gegenüber nicht zu sehr ins Staunen zu geraten. Ihre frühen Erzählungen, meinte also diese Rezensentin, seien unvergleichlich kurz und gut. Womit indirekt der Grund benannt war, warum sie jetzt nicht mehr ganz so sehr gelesen werde. Als 2012 „Eine souveräne Frau, erschien, eine Auswahl an Erzählungen aus mehr als fünf Jahrzehnten, meinte eben jene Kritikerin: Gerade Wohmanns zuletzt verfassten Erzählungen seien richtig gut – und lang. Allerdings: „Ein unwiderstehlicher Mann“, ihre allererste veröffentlichte Story, sei ebenfalls umfangreich. Und gut.

Rauschhaft

Wohmann war eben eine Frau, die nicht nur Männer verwirren konnte. Kurz? Lang? Jeglicher Schematisierung entzog sie sich. Feministin? „Mein Vater und Großvater waren Feministen“, sagte sie vergnügt und schenkte dem Besucher ein weiteres Glas Sherry oder Chablis ein. „Ein Haus ohne alkoholische Getränke hielte ich nicht aus“, kommentierte sie das euphorisierte Agieren mit Flaschen. Seit Jahrzehnten trank sie keinen Alkohol, jedoch: Sie habe allerbeste Erinnerungen an die einstigen Rauschzustände, mit denen sie der Sehnsucht nach dem Grenzenlosen gefolgt war.

Diszipliniert

Sie arbeitete diszipliniert, ohne damit nur in die Nähe des von ihr verhassten Zustands des Fanatischen zu geraten. Bis zuletzt schrieb sie. „Wenn da nicht diese Faulheit, diese Lähmung wäre“, sagte sie manchmal. Und begeisterte sich fast im selben Atemzug für Genusszustände, ihre kunstvoll über den Tag verteilten kleinen Oasen. Diese durfte man sich niemals zu klein vorstellen: So maß sie ihren Eiskonsum nicht in der gewöhnlichen Einheit Kugel, sondern nach Bottichen. „Aber das Salzige darf auch nicht fehlen.“ Pause. „Sie sehen: Zu allem, was ich sage, fällt mir etwas Gegenteiliges ein.“

Entschieden

Entschieden war sie, klar und setzte wirkungsvoll Punkte. Sie galt als unbestechlich. Sprach man über ihre Bücher, wurde sie rasch zur Fragenden, hörte den Antworten dessen zu, der doch Fragen stellen wollte. Ihr Werk könne vermutlich ohnehin am besten für sich selber sprechen, meinte sie. Aufregung produzieren, um künstlich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, das überließ sie anderen. Das organisierte Literaturgeschehen karikierte sie in Satiren wie „Büchner war auch nicht drin“.

Komisch

Man kann bei dieser Satire an eine Abrechnung denken: Obwohl über Jahrzehnte davon gesprochen wurde, hat sie den von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vergebenen Büchnerpreis nicht erhalten, die hierzulande renommierteste Literaturausszeichnung. Abrechnend klingt das dann aber gar nicht, weil ihre Lust am Witz alles Bedrückende augenblicklich entwaffnen und in der von ihr so bezeichneten Komik des Scheiterns auflösen konnte. Eher taten sie ihr fast schon leid, die nach Aufmerksamkeit gieren – aber das geschah nicht von oben herab. Denn nie hätte sie jemanden ausgelacht, der sich schräg verhält, nur weil er im Leben auf mehr als diese furchtbar pädagogisierenden und knapp dosierten Portionen an Zuwendung hofft. Die Schrägen waren ihr ohnehin am liebsten.

Himmlisch

In der Evangelischen Akademie Römer9 in Frankfurt zog die vermeintlich Vergessene 2011 bei einer Lesung unter Leitung von Ute Knie fast 200 Menschen an. Und das ausgerechnet mit einem Thema, das im Debattengeschehen nun überhaupt nicht angesagt ist, weil es – wie soll man sagen? – themenbehandlungstechnisch untauglich ist: Es ging um Himmelsträume, eine Lesung aus „Sterben ist Mist, der Tod aber schön“. Sie pflege ihren Kinderglauben, sagte Wohmann. Und schwärmte von italienischem Essen als Vorgeschmack des Ewigen, von den richtigen Spielsachen im Jenseits, von Käse- und Apfelkuchen und der Weite des Meers, an das sie schon als Kind gereist war.

Lebendig

In der Stadt, in der sie als Studentin Adorno gehört hatte, sprach sie fast mädchenhaft und auf gekonnte Weise spielerisch: hingegeben wirkte die große Realistin, die Chronistin der Normalität, die Distanzierte, die Kühle, die mit dem scharfen, genauen und bösen Blick – oder welche Etikette man ihr auch immer verpasst hatte, um dadurch das aufwühlend Lebendige, das sie mit ihrem Schreiben berührte, womöglich auf Abstand zu halten. Um somit wiederum selbst distanziert bleiben zu können und nicht etwa in Begeisterung zu geraten, weil solch ein Zustand – zum Beispiel – verletzlich machen kann. Nur: Wem oder was war sie denn hingegeben?

Grenzenlos

„Alle eure Dinge lasset in der Liebe geschehen.“ In dem wenige Jahre vor ihrem Tod veröffentlichten Essay „Der Vater meines Vaters“ erzählt sie von Großvater und Vater, mit denen sie dieser biblische Satz verbindet. Ihr Großvater war Gründer eines Diakonievereins, ihr Vater hatte ihn fortgeführt. Wenn man sie aber fragte, was dieser Satz für sie bedeute, sagte sie nichts. Erzählt hat sie davon grenzenlos.

Eine souveräne Frau von Gabriele Wohmann - Lektorat Dr. Angela Drescher

Das Buch “Eine souveräne Frau”

Gabriele Wohmann hat das Buch “Eine souveräne Frau – Die schönsten Erzählungen” im Aufbau Verlag veröffentlicht. Georg Magirius hat es herausgegeben und mit einem Nachwort versehen. Das Buch hat 288 Seiten, es ist gebunden und hat außerdem einen Schutzumschlag. Dr. Angela Drescher hat es lektoriert. Das Buch kostet 19 Euro 99.  Und die ISBN-Nummer lautet 978-3-351-03393-4. Weitere Informationen und Pressestimmen sind hier.

Unfassbar lebendig - Gabriele Wohmann - Cover des Buches "Sterben ist Mist, der Tod aber schön"

Das Buch “Sterben ist Mist, der Tod aber schön”

Gabriele Wohmann und Georg Magirius haben “Sterben ist Mist, der Tod aber schön” verfasst. Das Buch mit dem Untertitel “Träume vom Himmel” ist im Kreuz Verlag veröffentlicht. Rolf Hartmann hat es lektoriert. Es ist gebunden, hat 120 Seiten und kostet 14 Euro 95. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-451-33692-8. Weitere Informationen und Pressestimmen zu dem Buch sind hier.