Allgemein
Vom Verlieren und Genießen
Das Geläufige ist nicht sein Gebiet. Ulrich Dönnges hat Anderes im Blick: das Seltene. Genau genommen ist es nicht nur selten, sondern sogar einzig, bislang noch nie erforscht – zumindest nicht in dieser Intensität.
Musik und Wort verschmelzen
Der promovierte Germanist und musikwissenschaftlich Kundige aus Tübingen widmet sich dem Dazwischen. In einer Welt, in der alles schon da gewesen zu sein scheint, ist er ein Pionier. Sein Werk „Musik in der Dichtung“ handelt davon, wie Musik in literarischen Texten dargestellt wird. Seine dreibändige Untersuchung sei damit keine Literaturgeschichte, schreibt Dönnges. Genauso wenig eine Musikgeschichte. Stattdessen gehe es darum, dass sich zwei Schwesterkünste treffen, „verschmelzen, sich befruchten und ein Neues bilden.“ Das Neue entdeckt der Autor etwa bei E.T.A. Hoffmann, bei Arthur Schnitzler, Hermann Hesse und Elfriede Jelinek. Eine Sternstunde dieser ganz eigenen Kunstform finde sich bei Thomas Mann. Musik und Literarur, dieses Verwandte, aber eben nicht Identische, werde dank Manns „Wortgewalt so zusammengeschweißt, dass der Leser und Hörer nicht mehr eine Mischung disparater Teile wahrnimmt, sondern es entsteht ein gewaltiger Gesamteindruck“.
Ein vielfaches Vergnügen
Die Dichtung werde – und das gelte nicht nur für Thomas Mann – durch die Musik bereichert, was beim Lesen zu einem vielfachen Vergnügen führe. Doch Dönnges‘ Verdienst ist es nicht allein, den Genuss zu fördern. Das würde seine Arbeit nicht so bemerkenswert machen. Schließlich finden Musik und Dichtung auch noch vielfach anders zusammen: direkter, zum Beispiel bei einem Chanson, in einer Oper, im Oratorium, einem Kunstlied oder Popsong. Also immer dann, wenn Musik und Dichtung gemeinsame Sache machen.
Das stets Fehlende
Doch für das Miteinander der beiden Geschwister, wie Dönnges es vorstellt, ist das Fehlende konstitutiv – selbst in der beglückendsten Verschmelzung. Denn nie wird man in seiner Perspektive die Musik, die in die Literatur eingeht, in einem realen Sinne hören können. Zwar entsteht Neues, etwas Drittes. Aber doch bleibt die Dichtung stets Wort, mag sie sich durch ihr Darstellen von Musik auch verwandeln. Dichtung kann Rhythmus haben, kann klingen, man kann Wörter singen. Aber kaum würde man das Beschreiben von Musik selbst als Musik bezeichnen. Gerade durch diese Leerstelle aber gewinnt die staunenswerte Akribie, mit der Dönnges die zur Literatur gewordene Musik vorstellt, etwas eigentümlich Poetisches. Denn selbst im höchsten Genuss des neu Entstandenen wird immer etwas fehlen. Das lässt Ulrich Dönnges’ Werk wahrhaftig werden. Es geht ihm um eine Schönheit, die erst gar nicht so tut, als ob sie den Verlust kaschieren wollte.
Ulrich Dönnges, Musik in der Dichtung. I. Teil: Das lange 19. Jahrhundert, ISBN: 978-3-927091-90-0; 24,80 Euro / Musik in der Dichtung. II. Teil: 1. Hälfte 20. Jahrhundert, 978-3-927091-92-4; 24, 80 Euro / Musik in der Dichtung. III. Teil: 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, ISBN: 978-3-752868-66-1; 39.90 Euro – Ehemalig Knirsch Verlag Kirchentellinsfurt – inzwischen erhältlich im Zeilenwindverlag.