Biblisches

Jüdische Weisheit für Krisenzeiten

Jüdische Weisheit für Krisenzeiten - an der Universität in Münster hat Erich Zenger sie zur Sprache gebracht - Schloss der Uni
Paradox: Der krisensensible Psalmenforscher lehrte an einer Universität mit Schloss – Foto: Erich Westendarp

Die Spiritualität der Hebräischen Bibel entfaltet eine besondere Kraft in Krisenzeiten. Das hat der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius im Westdeutschen Rundfunk in der Sendung „Diesseits von Eden“ am 5. April 2020 gesagt. Er erinnert damit an den international renommierten Alttestamentler Erich Zenger, der von 1973 bis 2004 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster lehrte, an einem der größten theologischen Fachbereiche der Welt. Am 4. April vor zehn Jahren ist er gestorben. Ein besonders Augenmerk lag auf der Arbeit am Buch Hiob und am Buch der Psalmen, die in besonderem Maß Jüdische Weisheit für Krisenzeiten sind.

Alles im Griff?

Für Zenger war das Alte Testament oder – wie er lieber sagte – das Erste Testament eine Schule, dank der sich lernen lasse, Ja zu sagen und das Leben und Gott zu feiern. Das werde möglich, weil die Jüdische Bibel Krisenzeiten nicht übergehe. Sie wünsche nicht „Bleib gesund!“, was in Wahrheit gar kein Wunsch sei, sondern eine Befehlsform und damit so tue, als ob der Mensch selbst in Katastrophenzeiten alles im Griff habe: sich selbst, die Gesundheit und auch Gott. Die jüdische Spiritualität hingegen gestehe dem Menschen auch das Recht zu, sich am Boden zu fühlen, „ausgeschüttet wie Wasser“, das Herz im Leib „wie zerschmolzenes Wachs“, wie es in Psalm 22 heißt:

Nähe suchen

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, das ist im normalen Sprachgestus ein Widerspruch. Das ist kontradiktorisch. Entweder hat er ihn verlassen. Dann braucht er auch nicht mehr zu fragen – und kann er auch nicht mehr sagen: Mein Gott.  Wenn er sagt: Mein Gott, und ich möchte haben, dass du Gott bist und du möchtest selbst, dass du mein Gott bist – aber jetzt in dieser Situation, erlebe ich dich nicht als mein Gott, sonst wäre ich nicht so verlassen und verstoßen, verfolgt, verängstigt. Der Versuch dann also, die Gottesnähe zu finden, zu suchen. (Erich Zenger)

Das Manuskript des Beitrages ist hier. Die Redaktion hat übrigens Theodor Dierkes. Und das Foto stammt Erich Westendarp. Der Beitrag, aufgenommen im Tonstudio der Heilspraxis in Frankfurt am Main, hören:

Die jüdische Mitte des Christentums (WDR5)