Franken
Über die grüne Grenze in die Freiheit
An der einstigen deutschen-deutschen Grenze schlängelt sich das Grüne Band. Dort lässt sich über die grüne Grenze in die Freiheit wandern, schreibt Georg Magirius in dem von Dr. Rudolf Walter im September 2020 bei Herder herausgegebenen einfach-leben-Themenheft “In die Natur. Ins Freie!” Heilspraxis Aktuell veröffentlicht einen Ausschnitt des Beitrags.
Viele seltene Arten
(…) Wo der Eiserne Vorhang einst zwei politische Systeme trennte, markieren heute Bäume die Grenze. Stacheldraht und Selbstschussanlagen sind verschwunden. An den Bäumen entlang verläuft jedoch noch immer der Kolonnenweg. Ihn nutzten die Fahrzeuge der Nationalen Volksarmee. Auf seinen Betonplatten folge ich dem Grünen Band. Zu sehr ins Grün sollte man sich aber nicht begeben: So schützt man Pflanzen und Tiere, viele seltene Arten – und auch sich selbst. Denn nicht alle Todesminen konnten beseitigt werden.
Versteckte Waldparadiese
Fast 1400 Kilometern lang schlängelt sich das Band durch Deutschland. Zwischen 50 und 200 Meter ist es breit. Nach der Grenzöffnung wurden 200 Kilometer umgepflügt oder asphaltiert. Dennoch verbindet es auf außergewöhnliche Art Altgrasfluren, versteckte Waldparadiese und blühende Heiden mit abgeschiedenen Feuchtgebieten und Bachläufen.
Am Ende der Welt
Am Horizont sehe ich die Grenztürme von Irmelshausen. Wo einst Soldaten wachten, leben jetzt Fledermäuse. Denn ein Turm wurde mit Nistkästen versehen. Braunkehlchen, Blaukehlchen und Schwarzkehlchen leben im Milzgrund. Eine seltene Kombination. Ich scheine am Ende der Welt zu sein. Einen touristischen Nutzwert hat mein Gehen jedenfalls nicht: Der Kolonnenweg hat keine Wandermarkierung. Kein Gasthaus liegt am Weg, kein Kiosk ist da, kein Münzfernrohr, weder Schutzhütte noch Naturerlebnisstation. Und dann ist der Weg noch nicht mal naturbelassen.
Ein Anfang
Mit keinem der gegenwärtig gefeierten Premiumwanderwege kann er es aufnehmen. Denn da ist ja eben der Beton. Die Platten, die die Soldaten hinterlassen haben. Wer ihnen folgt, erlebt nicht in möglichst kurzer Zeit möglichst viel. Aber liegt es genau daran? Ich bin am Ende der Welt. Und mein Gehen gibt mir das Gefühl, Schritt für Schritt zu mir zu finden. Es ist ein Rhythmus, den mir niemand vorgibt. Es ist ganz einfach meiner. Und das fühlt sich wie ein Anfang an. Allerdings verläuft der Weg umständlich, manchmal fast eckig. Er ist voller Schleifen, hat unvermutet steile Anstiege. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich seinem Lauf zu fügen. Geduldig. Mir fallen Reisen ein, die ich als Jugendlicher in den anderen Teil Deutschlands unternommen habe. Da waren die Grenzanlagen, die Uniform- und Waffenträger, die bedrückte Stimmung der Reisenden. Freies Gehen? Kein Schritt war möglich ohne Kontrolle.
Über Beton geht es ins Freie
Nun gehe ich über Beton ins Freie. Denn die Enge ist abgeschafft. Weit öffnet sich der Blick ins Thüringische. Nirgendwo ein Wanderer. Ich passiere Schafe und Kühe. Es ist nicht lautlos. Immer wieder ist ein Rascheln in einem Gebüsch zu hören. Lautes Vogelrufen, Flügelschlagen! Aber nirgendwo ein Auto. Und auch der Lärm in mir legt sich nun schlafen, all die Wünsche, Forderungen und Ansprüche. Zu sehen sind die Gleichberge, zwei erloschene Vulkane, von denen einer wegen seiner exponierten Lage durch die Sowjets als Aufklärungsstandort genutzt wurde. Die Büsche und Bäume, die den einstigen Grenzverlauf markieren, sind seit dem Ende der deutschen Teilung nicht in den Himmel gewachsen. Sie wirken noch jung, doch behaupten sie ihren Platz. Ich gehe weiter, Schritt für Schritt das Band entlang (…) … Weiterlesen im einfach-leben-Themenheft.
In die Natur – ins Freie!
Das einfach-leben-Themenheft “In die Natur! Ins Freie” hat Dr. Rudolf Walter im Herder Verlag veröffentlicht. Es umfasst 44 Seiten, enthält Beiträge von Anselm Grün, Doris Bewernitz, Lorenz Marti, Georg Magirius, Elisabeth Seidler, Stephan Grätzel, Susanne Niemeyer, Verena Kast, außerdem viele Farbfotos. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-451-00854-2. Es kostet 9 Euro. Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit sind hier. Die Fotos dieses Blogbeitrages stammen übrigens aus Georg Magirius’ Buch “Frankenliebe – 33 Orte zum Staunen und Verweilen”.