Franken, Spirituelle Wanderungen
Der kurze Weg zur Freude
Gibt es ein Rezept, wie man Freude erfährt? Aber ja. Ihm geht die meditative Wanderung der Reihe GangART im Oktober 2021 im Fränkischen Weinland von Retzbach nach Stetten nach. Es ist der kurze Weg zur Freude und beginnt mit Schritt eins: “Freut euch gefälligst!”, sagt Georg Magirius, der Leiter der Tour. So funktioniert es nicht, beruhigt er die Teilnehmenden. Sie hatten schon gedacht, den ganzen Tag mit zwanghaft hochgezogenen Mundwinkeln durch die Weinberge marschieren zu müssen.
Freudentipp Nummer 1
Es sei normal, sich nicht immer freuen zu können, sagt Magirius. Trauer, Schmerz, Passion – das sei einfach da. Lauter Kreuzwege. Sie nicht krampfhaft zu leugnen, sei befreiend. Und damit ein entscheidender Schritt zur Freude, gleichsam Tipp Nummer 1. Dieser aber bleibt nicht der einzige.
Koholet
Die Tour ist nämlich inspiriert vom biblischen Buch Kohelet, das trotz seines ausgeprägten Hangs zum Realismus dann doch zur Freude rät. Nämlich: Geh hin! Außerdem: Iss dein Brot mit Freuden! Und weiter: Trink deinen Wein mit gutem Mut! Und übrigens: Das freut Gott schon lange!
Geh hin!
Und damit zu Freudentipp 2, der Empfehlung Kohelets, hinzugehen, also nicht auf der Stelle zu treten. So geht es die Weinberge hoch hinauf. Und schon befindet man sich unter einem Himmel, der sich zur Großzügigkeit bekennt. Ungewöhnlich nah fühlt man sich ihm auf der Kürbishöhe, die in den Spessart blicken lässt. Dazu auf die Fränkische Platte und in die Rhön. Und außerdem tief ins Werntal nach Stetten. Dort hinab lässt sich Leibsorger Magirius bei einem solistischen Abstecher den steilen Weg – fast muss man sagen – fallen. Meditative Langsamkeit ist nicht gefragt! Denn es ist 5 vor 12. Und die Tür der Bäckerei Schraut gerade noch offen.
Wohlwollende Wirkung
Wenige Minuten nach 12 ist die Welt nicht untergegangen. Stattdessen ist der Rucksack den steilen Weg hinauf nun schwerer, ehe sich vor großer Aussicht Freudentipp 3 erfüllt: Iss dein fränkisches Mürbehörnchen mit Freuden. Und trink deinen Wein mit gutem Mut, Tipp Nummer 4, das Weintrinken, wird gleich miterledigt. Wobei beim Weintrinken wie beim Brotessen eine freiere Auslegung des biblischen Urtextes gefragt ist. Wein hat nämlich keiner dabei. Ist der kurze Weg a la Koholet zur Freude gescheitert? Die wohlwollende Wirkung von heißem Tee in der Oktoberkühle zeigt: Eine streng wörtliche Interpretation der Bibel ist nicht der einzige Weg zur Freude.
Freude in großen Zügen
Fehlt sonst noch was? Tipp 5: Der Dank für Brot und Wein. Sie sind Gaben Gottes, konstatiert das genussfreundliche Buch Kohelet nüchtern. Wer dankt, denkt in großen Zügen. Die Wallfahrtskirche Maria im Grünen Tal in Retzbach lässt spüren, dass die Freude sich am besten zwanglos ausbreitet. Die Kunst ist es, aufmerksam für ihren freizügigen Charakter zu werden. Das legt die Quelle unterhalb der Kirche nahe, die unaufhörlich sprudelt. In der Kirche zeigt sich ein weiteres Himmelszeichen, das Gnadenbild im Chorraum. Das Lächeln von Maria und Jesus nähren den Verdacht: Gott freut sich, wenn Menschen schmecken dürfen, wie süß das Leben ist.
Randbemerkung
Nach fünf Minuten wird der Weg zurück im Zug unterbrochen. Denn in Karlstadt warten nach wenigen Schritten im Café Schrödl Dinge, die nach Mürbehörnchen und Tee außerdem lebensdienlich sind: Quarkstrudel, Prinzregententorte und Himbeergeisttorte. Außerdem die Schrödlhörnchen, deren Geschmack ein wilder Jesuaner einmal als “extravagant einfach” beschrieben hat.
Die Reihe GangART
In der Reihe GangART leitet der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius Spirituelle Wanderungen durch Frankfurt, Taunus, Schwarzwald und Mainfranken. Das Besondere: Jede Tour ist ein Anfang, die Gruppe bildet sich neu. Spirituelle Vorkenntnisse sind nicht nötig, im Gegenteil: Nichtwissen führt – das ist beim Gehen konkret erfahrbar – in der Regel weiter als ein fester Standpunkt, der mit Stolz verteidigt wird. GangART findet Widerhall etwa im Deutschlandfunk, im Rucksackradio des BR und im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Tour von Retzbach nach Stetten ist angeregt von Georg Magirius’ Buch Frankenliebe – 33 Orte zum Staunen und Verweilen”, unter dem Lektorat von Thomas Häußner im Echter Verlag bereits in der 2. Auflage.