Neues Leben

Das lösende Wort

In dem Buch "Stumme Schreie" geht es um das lösende Wort

Für die sogenannte Flüchtlingsproblematik gibt es keine Lösung, sagen viele. Also reagiert man mit stummer, oft aggressiver Abwehr. Oder mit Beschwichtigungen, die sprachlos wirken. Martin Flesch ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. 2014 begann er, in Würzburg auf ehrenamtlicher Basis eine akutpsychiatrische Sprechstunde für Migranten anzubieten. Die Warteliste ist lang. In seinem Buch „Stumme Schreie“ sagt er: Es gibt eine Lösung für die Flüchtlingsproblematik. Oder besser: mehrere Lösungen. Immer wieder seien diese möglich. Aber wie? Durchs Wort, das lösende Wort.

Entscheidend sind Gespräche

Schon die Perspektive des Buches wirkt lösend. Denn es ist nicht die Vogelperspektive. So verwandelt das Buch die Problematik, die häufig in Statistiken und Übersichten zu ertrinken droht, in Menschen. Und damit ins Menschliche. Erzählt wird das Leben Einzelner. „Ihre Geschichten werden hier sprechen. Nichts sonst“, schickt der Autor dem Buch voraus. Sie zeigen: Am tiefen seelischen Leid vieler Geflüchteter, das sie nicht nur in ihren Herkunfts-, sondern oft auch in den Zielländer erfahren, kann sich etwas ändern. Manchmal sind Psychopharmaka hilfreich. Aber: „Entscheidend bleiben die Gespräche.“ Und das Signal an die Geflüchteten, “dass sie verstanden werden, dass sich jemand für sie tatsächlich interessiert”.

Verneigung

Jede Geschichte erschüttert und kann sprachlos machen. Dann versetzt sie wiederum ins Staunen, weil die Suche nach dem lösenden Wort nicht aufgegeben wird. Das ist der Grund, warum der Arzt die Hilfesuchenden als Lehrmeister erlebt. Ihnen widmet er sein Buch und verneigt sich „vor deren Überlebenswillen und deren Lebenszugewandtheit“.

Apathie

Auch die Situation von Kindern nimmt der Autor in den Blick. An einem Tag sprechen, spielen und rennen sie. Am anderen Tag kann es passieren, dass sie in Apathie versinken. Sie sprechen nicht mehr, lächeln nicht mehr, verweigern Nahrung, liegen auf dem Bett, starren ins Leere. „Das einzig wahrnehmbare Lebenszeichen habe zeitweise nur noch in der langsamen Bewegung des Brustkorbs beim Ein- und Ausatmen bestanden. Zwei Wochen habe er die Augen nicht mehr geöffnet.“ So erzählt die Familie eines neunjährigen Jungen aus dem Irak. Im Extremfall werden Kinder in die Klinik eingeliefert und mit Flüssignahrung versorgt.

Das lösende Wort

Martin Fleschs Buch „Stumme Schreie“ nimmt dem Schreien das Stumme. Noch mehr: Er geht an keiner Stelle über die Kraft derer hinweg, denen oft alle Kraft genommen scheint. Wo immer es möglich ist, lässt er sie zu Wort kommen. Schließlich erheben sie die Stimme. Eher ist die Frage, ob die sogenannten Sesshaften diese Schreie hören. Es könnte sie aus einer fast krankhaft wirkenden Apathie gegenüber Geflüchteten herauslösen.

“Wir wollen die Rechte, die Tieren gewährt werden”

„Wir haben die Gesetze zum Schutz der Tiere in Europa studiert und wir haben herausgefunden, dass sogar sie mehr Rechte haben als wir (….) Also haben wir beschlossen, Sie zu bitten, uns die einfachen Rechte zu gewähren, die Tiere haben .“ Aus dem Apell der Flüchtlinge von Moria auf Lesbos, gerichtet im Dezember 2020 an die Europäische Union

Das Buch “Stumme Schreie”

Martin Flesch hat das Buch “Stumme Schreie” im Würzburger Echter Verlag veröffentlicht. Es hat 192 Seiten, kostet 16 Euro 90. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-429-05663-6. Weitere Informationen hier.