Allgemein, Neues Leben
Mehrweg-Spiritualität
Natürlich könnte das Leben einfach sein, sich an übliche Erwartungen halten und niemals aus dem Rahmen fallen. Dafür aber ist es zu widerspenstig und reich. Weil „Miriams Reise“ ein lebendiges Buch ist, kann es gar nicht anders als vielstimmig sein. Der Roman ist ein ins Erzählen gekommenes Bekenntnis zu einer Mehrweg-Spiritualität. Also dazu, dass ein leidenschaftliches Suchen und Fragen nichts Defizitäres ist, sondern hinter die Dinge blicken lässt. Dann ist das Leben mehr als ein funktionstüchtiges Aneinanderreihen mehr oder minder erfreulicher Bewegungsabläufe. Sondern ein Weg, der ins Offene weist.
Frei, spontan und gegenwärtig
Vielstimmig ist der Roman allein schon deshalb, weil er mit der Journalistin Sabine Schömig und der Psychologin Walburga Spielberger gleich zwei Autorinnen hat. Genauso wenig eintönig ist es, wie die beiden ihre Protagonistin Miriam auf die Reise schicken. Die in Freiburg lebende Goldschmiedin reist tatsächlich, nämlich ins französische Burgund und auf die griechischen Inseln Kreta und Paros. Zugleich wird ihr Reisen zu einem Weg nach innen. Dorthin, wo sich ein Funke regt, der ein anderes Feuer ahnen lässt als das auf Sparflamme köchelnde Ableisten von Pflichten und kleinen Freuden. Miriams Wunsch ist es, „frei, spontan und gegenwärtig“ zu leben.
Mehrweg-Spiritualität: Freies Philosophieren
Die Reisende geht in Burgund dem Auftrag nach, alten Schmuck zu restaurieren. Dabei taucht sie in alte Schriften ein. Innerhalb weniger Monate begegnet sie Menschen, mit denen sie ins freie Philosophieren kommt. Das fühlt sich nicht abwegig an. Womit Miriam sich von den vielen kleinen oder sich groß gebenden Lebenskontrolleuren unterscheidet, die solch ein freies Fragen mit einem milden und doch angespannt wirkenden Lächeln abtun. Weil es sich bei einem unbegrenzten Philosophieren doch ohnehin nur um eine Flucht vor dem früher oder später abzuwickelnden Leben handle, das dem Menschen nun mal aufgegeben sei. Als Hausaufgabe jedoch erscheint Miriam das Leben zu klein. Genauso versteht sie es nicht als Garnrolle, die Tag für Tag an Faden verliert. Sondern? Als etwas, das glanzvoll ist. Und dabei eine urtümliche, jedoch nicht weniger feinsinnige Kraft freilegt. Indem sie sich mit anderen auf die Suche macht, wird sie immer eigenständiger.
Innen und außen
Miriam, die eine natürliche Abwehr gegen alles Frömmelnde und jede Form von Einwegglauben hat, erlebt in Burgund die mantrartigen Lieder der Kommunität von Taizé. Die Atmosphäre packt sie, „und ich werde immer ruhiger. Es ist, als ob ich mit etwas tief in mir in Kontakt komme – und ich fühle mich von innen berührt.“ Die Hellhörigkeit, dank der sie sich innerlich berühren lässt, öffnet sie auch für äußere Berührungen. Markus, mit dem sie in den Gottesdient und die Lieder Taizés eintaucht, ist jemand, der Sinn für solch ein Innen und Außen hat. Und dafür, dass das letztlich zusammengehört, es wirklich nicht das Letzte ist, sondern eins. Und damit wiederum das Erste, Anfang und Ende, der Ursprung. Bei dem der Genuss nicht fehlen will.
Reiche Oberfläche
Denn die Suche nach Tiefe bedeutet auch darauf zu achten, was die Erde an ihrer Oberfläche zum Besten gibt. So ist „Miriams Reise“ eine spirituelle Reise, die immer wieder neu den Aufbruch feiert, um anzukommen – am Tisch. Darauf Gläser. Die gefüllt sind mit Wein. Dazu so viele kleine oder üppige Spezialitäten, französische Menüs, die in Käseplatten münden. Ein anderes Mal ist da ein dampfender Eintopf. Einfach, deshalb aber noch lange nicht schlicht. Aus Schaffleisch mit Bergkräutern und Tomaten. Oder Miriam holt aus dem nahen Supermarkt in Freiburg die Zutaten für ein italienisches Schnellgericht, das sie mit ihrer Freundin geradezu zelebriert: Spaghetti. Denn selbst ein vermeintliches Allerweltsgericht muss nicht zum Stoff einer mechanischen Nahrungsaufnahme werden. Die Spaghetti gibt es stattdessen „mit frischer Tomaten-Basilikumsauce, einer Ecke Parmesan und dazu einer Flasche Frascati, einem herrlichen Weißwein aus Italien.“
Liebevoller Egoismus
Die spirituelle Sehnsucht, der die Goldschmiedin Miriam folgt, hat also nichts mit Entsagen zu tun. Sondern mit einem Ja-Sagen zum Leben. Wozu paradoxerweise gehört, wie könnte es in diesem reich tönenden Reisebuch anders sein, dass Miriam eine entscheidende Lebensweisheit von einem Mönch erfährt. Dessen Bergkloster erreicht sie mit ihren neu gewonnenen Freunden auf staubigen Wegen. Dort unterrichtet Mönch Christos die Gäste in der Liebe. Sie befähige dazu, das Leben nicht allein verbringen zu müssen. „Allerdings dürfen wir nicht den weit verbreiteten Fehler begehen, für die anderen leben zu wollen oder deren Leben zu führen.“ Der göttliche Auftrag für jeden einzelnen sei es, „den Mut zu haben, er selbst zu sein und diesen Mut nie zu verlieren.“ Oder mit Miriams Worten: „Es geht doch in allem darum, meinen eigenen Wert zu erkennen und zu erleben, auch wenn das erstmal egoistisch klingt.“
Sabine Schömig und Walburga Spielberger, Miriams Reise, Roman, 268 Seiten, Wenz Verlag, Dreieich bei Frankfurt am Main, ISBN-Nr. 978-3-937791-47-0, 11,95 Euro.