Franken, Spirituelle Wanderungen
Die Erfüllung ist das Beste
„Erfüllte Wünsche sind das Schlimmste“, sagt eine Wanderin amüsiert, als der Regen kommt. Wochenlang hat sie ihn erhofft, jetzt aber wirkt er doch ein wenig störend auf der Tour “Kraftort im Wald” der Reihe GangART im Hochspessart im September 2022. Eine andere Pilgerin zitiert unter dem Regenschirm das Lied: „Maria, breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für uns daraus; lass uns darunter sicher stehn, bis alle Stürm vorüber gehn.“ Tatsächlich sind die 16 Pilgerinnen und Wanderer unter Leitung des Theologen und Nahwehliteraten Georg Magirius auf dem Weg zu einem Marienort, nämlich zur Großen Mariengrotte bei Heigenbrücken. Nur stehn sie nicht unter den Schirmen, sondern gehn. Schrittweise nähern sie sich der Erkenntnis an: Die Erfüllung ist das Beste.
Der Geruch der feuchten Erde
Einige der Teilnehmer aus Mainz, Hainburg, Kelkheim, Frankfurt, Seligenstadt, Aschaffenburg und Kahl klappen die Schirme wieder zu, setzen Kapuzen ab, einige haben sie erst gar nicht aufgezogen. Obwohl es noch immer regnet! Doch ungefiltert hören sie das Wasser, das auf Blätter fällt. Ein ungewohnter Duft entfaltet sich: Feuchte Erde, die auf eine fast vergangene Weise nach Sommer riecht. Nur ist das Vergangene gerade Gegenwart. Und dann lädt der Wandertag auch noch zum Baden ein, was gewöhnlich nicht geht: Schließlich ist der Mensch kein Fisch, sondern verlässt sich eher auf seine Beine.
Kitsch mal Kitsch ergibt?
Doch an diesem Tag, unterwegs zur Kraftquelle im Wald, ist beides zugleich möglich: Gehen und Baden. Der Sieben-Grottenweg, ein wurzeldurchsetzter Pfad, führt tief in den Wald hinein. “Ich habe kein Zertikfikat im japanischen Waldbaden”, bemerkt Magirius freimütig. Andererseits: „Die Natur findet ihre Wege”, sagt eine Geherin. Und weil der Mensch in seinen vielleicht besten Augenblicken sich als Teil der Natur versteht und nicht auf ihr herumtrampelt, geht es nun also badend zur Baßhöhe auf 394 Meter hinauf. Schweigend, fast zeitlupenartig gebremst setzen die Waldgänger die Füße auf. Was nicht zur Folge hat, dass Energien gezügelt würden. Eher beginnt sich Zurückgehaltenes zu lösen. Oft nur mit Zehen und Ballen wird der Boden – gestreichelt, müsste man sagen, wenn solch eine Formulierung nicht unter Kitschverdacht fiele. Aber wie Minus mal Minus Plus ergibt, steht nach einem mit Kitsch mulitplizierten Kitsch ein ebenso erfreuliches Ergebnis. Nämlich? Eine Realität, die trägt. Also sei Kitschfaktor Nummer zwei gleich nachgeschoben: Auch die Füße fühlen sich vom Waldboden zart berührt.
Schutzraum im Wald
So wird der Kraftort im Wald nicht heftig, sondern mit stiller Vorsicht angegangen. Und dann ist er durch die Baumstämme hindurch zu sehen. Und zu hören. Denn unter der Grotte springt der Bächlesbach hervor. Weil der Quellort in einer Mulde am Waldhang liegt, erfährt der Klang des Wassers eine schöne Resonanz. Trotz seines höhlenartigen Charakters wendet sich der Schutzraum im Wald wiederum von der Welt nicht ab. Er öffnet sich zu einer Wiese, in die hinein sich das Wasser übermütig verzweigt. Dorthin, in die weite Welt hinein, will Hänschen klein. Aber auch die an Jahren erfahrenere Hanna groß. Nur ist jetzt mal Pause.
Die Erfüllung ist das Beste
Betört der Klang des Bachs, weil er alles Pompöse meidet? Kraftvoll, aber frei von jeglichem Vernichtungswillen geht das Wasser seinen Weg. Das lässt den Wunsch wachsen: der Anfang möge nicht verklingen. Nur ist das ein Wunsch, der unerfüllbar ist, sagen die Logiker. Denn auf jeden Anfang folgt unweigerlich das Ende, weil es ansonsten keinen Anfang gäbe. Sonderbar jedoch: Was folgt dem Anfang der Quelle? Die eine oder der andere aus dem Mariengrotten-Auditorium rechnet, vielleicht durch so manche Lebenserfahrung noch immer nicht ganz klug geworden, mit dem Leisewerden des Wassers. Das aber stellt sich nicht ein. Stattdessen ist einmal mehr das Rauschen des Bachs auf seinen ersten Metern zu hören: ursprünglich und unerschöpflich. Und aus der fortlaufenden Erfahrung, dass der Anfang sich unaufhörlich wandelnd wiederholt, reift die Erkenntnis: Die Erfüllung ist das Beste.
Die Reihe GangART
Die Tour ist angeregt vom Buch “Frankenliebe“, das Georg Magirius im Echter Verlag veröffentlicht hat und in der 2. Auflage vorliegt. GangART ist eine Reihe spiritueller Tagestouren durch Franken, Frankfurt, Schwarzwald und Taunus. Resonanz erfährt die Reihe zum Beispiel im Deutschlandfunk, in HR, im Reiseblatt der FAZ, in Publik-Forum, in Main Echo, Main Post und im Rucksackradio des BR. Rückblicke auf frühere Touren sind hier. Die nächste Tour ist die “Adventswanderung nach Amorbach” am 3. Dezember 2022. Informationen dazu hier.