Allgemein, Franken
Die Alltags-Archäologin
Der Malerwinkel gilt als Wahrzeichen Marktbreits. Marktbreit wiederum gilt als beispielhaft für Frankens Fachwerkromantik. Und weil Simone Michel-von Dungern Leiterin des Museums Malerwinkelhaus ist, kann man in ihr eine ideale Botschafterin der fränkischen Fachwerkromantik vermuten. Allerdings interessiert die habilitierte Klassische Archäologin immer auch das, was nicht sofort gefällig ins Auge springt. „Ich bin kein Fachidiot“, sagt sie Und damit auch keine verklärende Fachwerkidiotin. Sondern eher eine Alltags-Archäologin, die im Malerwinkelhaus überhaupt nicht abgehobene, gleichwohl verblüffende Perspektiven ermöglicht, zum Beispiel auf Weihnachten. Darüber berichtet der Bayerische Rundfunk am 4. Dezember 2022. Und zwar in der Sendung „Zu Fuß zur Weihnachtsfreude. Winterwanderungen durch Franken“ von Georg Magirius von auf Bayern2 und BR-Heimat. Als Podcast jetzt kostenfrei hier hören. Das Manuskript ist hier.
Das Malerwinkelhaus: Knarzend und heimelig
Die Museumsleiterin bestreitet keineswegs, dass der Blick auf das Hausensemble auf der Bachmauer die Sehnsucht nach Idyllen befrieden kann. Schließlich wird die Ansicht oft gemalt und fotografiert, reist als Postkarte um die Welt. Außerdem empfänden Besucher die engen, verwinkelten Räume des Museums mit ihren knarzenden Dielen als heimelig. Doch einer allzu schwebenden Lieblichkeitserwartung gegenüber ist Michel-von Dungern skeptisch.
Prägend sind ja auch die Toilettenhäuschen, diese braunen Verschläge, die man von außen sehen kann, die über dem Bach schweben. Sie sind früher so benutzt worden, dass man sich direkt in den Bach erleichtert hat.
Simone Michel-von Dungern
Schaukelpferd und Schaukelschaf
Auch sonst fällt auf, dass die Museumsleiterin frei von Nostalgie in die fränkische Geschichte blickt. Wenn sie etwa die Dauerausstellung „Frauen-Zimmer“ kommentiert, die das Leben einer Frau in einer fränkischen Kleinstadt zwischen 1870 und 1950 darstellt. Zu sehen sind Waschbretter für den „verhassten Waschtag“, ein Gebärstuhl, der bei Geburten ausleihbar war. Oder die Dienstbotenkammer, in der es weder Heizung, elektrisches Licht noch fließendes Wasser gab. Der Alltag hat es Michel-von Dungern angetan. Das meist Übersehene und dadurch oft auch Überraschende. So ist sie nicht nur dem Museumsinventar gegenüber aufmerksam, sondern beachtet ebenso, wie es bei Besuchern ankommt. Die Technik des Klöppelns spreche vor allem Männer an, hat sie beobachtet. Auch weiß sie, was Kinder lieber haben, das fränkische Schaukelschaf oder das Schaukelpferd:
Archäologin mit Saxophon
Michel-von Dungern ist niemand, die ein Themengebiet erobert, um sich dann dort für möglichst immer einzunisten. Sie ist als Lyrikerin hervorgetreten, hat als Saxophonistin mit ihrer CD Homemade den Deutschen Rock- und Pop-Preis erhalten. Und selbst in ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat sie zu entgegengesetzten Themen geforscht. „Normalerweise macht man ja ein Studium, eine Doktorarbeit zu einem Thema. Und eine Habilschrift zum gleichen Thema, nur ein bisschen weitergefasst. Das war bei mir aber etwas völlig anderes. Ich habe sehr unterschiedliche Bereiche bearbeitet, einmal Skythen und einmal Gemmen. Da sind Welten dazwischen.“
Schwarzhörer im Gefängnis
Oft seien ihr die Themengebiete, denen sie sich unterdessen als Museumsleiterin widmet, unbekannt. Dann aber arbeitet die Alltags-Archäologin sich gründlich in sie ein, nicht zuletzt angetrieben von der Freude, Verblüffendes zu entdecken. Bei ihrer jüngsten Ausstellung über Struwwelpeter-Adaptionen wie den Rundfunk-Struwwelpeter, einem 1926 veröffentlichten Kinderbuch, fiel ihr auf: Mehr als 40 Prozent der damals 1,4 Millionen angemeldeten Hörer aus Deutschland lebten in Berlin. Außerdem habe man fürs Radiohören 400 Reichsmark gezahlt, was ungeheuer viel gewesen sei. Schwarzhören war allerdings keine empfehlenswerte Alternative: „Das hat man mit hohen Strafen belegt, sogar mit Gefängnis oder mit öffentlicher Namensnennung der Gebührenhinterzieher über den Äther.“
Die Duftbar
Wer das Malerwinkelhaus besucht, wird nicht mit abgehobenem Eintritt geprüft, mit sauerstoffentziehender Kunst traktiert oder mit Heimatvereins-Nettigkeiten gefügig gemacht. Stattdessen geht es um eine Kultur, die den Kopf durchlüftet, ohne dabei die Sinne zu vergessen. „Kultur muss nicht hochtrabend und schwierig sein, um Menschen zu erreichen oder um etwas zu vermitteln“, sagt Michel-von Dungern. „Je alltagstauglicher und näher sie am Besucher ist und je mehr jemand anfassen oder ausprobieren kann, desto eher nimmt er auch die Botschaft auf.“ Und warum soll das Ausprobieren nicht auch ein Riechen sein? So hat sich eine Ausstellung auf besondere Weise Lebkuchen, Spekulatius und Springerle angenähert, was jede fantasiebegabte Nase während der folgenden 66 – übrigens frei von der Gefahr des Schwarzhörens abrufbaren – Sekunden bestätigen wird:
Die komplette Sendung in der ARD-Audiothek
Die Sendung von Georg Magirius „Zu Fuß zur Weihnachtsfreude. Winterwanderungen durch Franken“ mit Simone Michel-von Dungern ist komplett und kostenfrei hörbar in der ARD-Autiothek hier. Das Manuskript ist hier.