Franken
Schnellgänger, Dieb und Dichter
Friedrich Rückert hat das Klischee vom Dichter als Stubenhocker entkräftet. Denn er war als Traubendieb aktiv und konnte zu Fuß schon mal 20 Kilometer in drei Stunden herunterreißen. Das hat Rudolf Kreutner in der sächsischen Wochenzeitung „Der Sonntag“ vom 18. Dezember 2022 gesagt. Und zwar in dem Beitrag über den Friedrich-Rückert-Wanderweg von Georg Magirius, redaktionell betreut von Stefan Seidel. Rudolf Kreutner ist Mitbegründer der historisch-kritischen Rückertausgabe, betreute viele Jahre den Rückertnachlass und war Geschäftsführer der Rückert-Gesellschaft. Laut ihm trat der in Schweinfurt geborene Dichter wie kaum ein anderer Autor deutscher Spracher für den Austausch der Kulturen ein.
Auf dem Friedrich-Rückert-Weg
Wie nähert man sich Rückert an, der von 1788 bis 1866 lebte? Zum Beispiel durch Lektüre eines seiner kaum zählbar vielen Gedichte. Ein reizvoller Weg der Annäherung ist aber auch, einen Weg im grundlegenden Wortsinn zu nehmen. In Schweinfurt am Geburtshaus beginnt der Rückert-Weg, der 143 Kilometer durch die Haßberge bis nach Coburg führt. Nach den ersten Kilometern geht es bergan, an der Petersstirn vorbei, wo einst Benediktinermönche lebten. Heute wohnt in der Burg eine Winzerfamilie, die die Weinlagen an den Mainhängen bestellt. Oben der Beerhüterturm. Die gute Aussicht half Wächtern, in den Wochen vor der Lese die Trauben zu bewachen. „Wer erwischt wurde, kam auf die Wache und musste Geldstrafe zahlen“, sagt Kreutner auf dem Turm. „Und die Kindlein wurden den Eltern gemeldet, wahrscheinlich auch dem Schulrektor, was bestimmt nicht angenehm war. Rückert ist auch mal erwischt worden.“
Saure Weine
Über die Schweinfurter Weine hat Rückert gesagt, sie seien höher einzuschätzen als die berühmten aus Würzburg, Schweinfurt solle doch Weinfurt heißen. Der Historiker Kreutner achtet Rückert, aber nicht jedes seiner Urteile. „Die guten Frankenweine waren herb, nicht sauer. Aber die hier aus Schweinfurt waren wirklich sauer.“ Rückert kam es freilich mehr auf die Urform des Weines an: „Die Trauben sind diejenigen Früchte, die dem Trinken am nächsten kommen“, schrieb er in einem Brief an seine Frau.
Süße Trauben
Und diese Trauben waren nicht sauer, sondern süß. Seine Eltern schickten sie ihm von Schweinfurt immer nach. Eben dorthin, wo er gerade lebte. Einmal waren die Früchte unterwegs nach Erlangen, als er zu Fuß in die Gegenrichtung reiste, „traubenlechzend“ an Beerhütern vorbei. Erst am Tag nach der Ankunft kommt er in die Weinlage der Familie und kehrt zurück ins Elternhaus, „mit so viel, als der Magen hielt, es mochten wol 30, 40 seyn“. Außerdem, überlegt er im Brief an seine Frau, „einen Gang nach seinem alten Nest Oberlauringen“ zu unternehmen, wo er als Junge wohnte.
Durch Oberlauringen, Seßlach und Ebern bis nach Coburg
Auch durch Oberlauringen führt der Rückert-Weg, außerdem durch Ebern, an der Bettenburg vorbei und durch Seßlach. Überall dort hat der Dichter gelebt. In Coburg, wo er endet, verbrachte Rückert die letzten Lebensjahre. “Die Haßberge, durch die der Weg geht, sind traumhaft“, sagt Kreutner. „Jedes Dörflein hat irgendein Schlösslein. Und es sind wunderschöne Täler und Berge und Aussichten, richtig idyllisch-romantisch.“ Nachteil: „Man bekommt kaum etwas zu essen.“
Schneller als die Kutsche
„Rückert war sehr heimatverbunden, sprach gewiss mit dialektalem Einschlag, war aber kein Lokalpatriot“, sagt Kreutner. Er machte einige Mundartgedichte, „aber die sind leicht daneben“. Dieses Idiom hat der Sprachbegabte dann wohl nicht gelernt. „Aber er war der Landschaft sehr verbunden, kannte hier alles, ist viel gelaufen.“ So kommt man dem Dichter allein schon dadurch nahe, dass man geht. Die Postkutsche war sowieso fast unerschwinglich, nicht schneller als ein Fußgänger. Für eine Postmeile, etwa 7,5 Kilometer, wurden etwa zwei Stunden veranschlagt.
“Auf herrlichem Vorsprung: Marie Limbach”
Bei seiner Wanderung am Main entlang von Bamberg nach Schweinfurt, während der er eine 20 Kilometer lange Etappe in drei Stunden absolvierte, sieht Rückert Juden das Laubhüttenfest feiern, wohnt – als Protestant – einem katholischen Gottesdienst „mit rechter Erbauung“ bei, „in einer auf einem herrlichen Vorsprung erbauten Kapelle, Marie Limbach“, zwischen Eltmann und Sand am Main. Rückert, der Heimatverbundene, war neugierig aufs Fremde. Schon als Jurastudent in Würzburg lernt er Hebräisch, Persisch, lehrt Jahre später als Altorientalist in Erlangen und Berlin. Er übersetzt aus 44 Sprachen ins Deutsche, darunter große Teile des Korans. „Er konnte ein grober Klotz sein“, sagt Kreutner. „Aber letztlich ging es ihm um Harmonie.“
Versöhnung durch Poesie
Während Goethe im West-östlichen Divan mehr oder minder westliche Gedanken- und Empfindungswelten im orientalisch inspirierten Gewand präsentiert, versucht Rückert einen möglichst authentischen Eindruck orientalischer Poesie zu vermitteln. Mit den Übersetzungen will er die deutsche Sprache anreichern, ausweiten und zu einer weltumfassenden Sprache kommen. Im Fremden sucht er Gemeinsames, auch Mythen und Geschichten der Menschen, leitet daraus Ähnlichkeiten ab: „Daß ihr erkennt: Weltpoesie/Allein ist Weltversöhnung“, heißt es in einem Gedicht.
Mehr zum Friedrich-Rückert-Weg
Der vollständige Beitrag “Den Glauben erwandern” von Georg Magirius über den Rückertweg ist im Internetangebot von „Der Sonntag“ lesbar. Außerdem hat Georg Magirius Rudolf Kreutner, Rückert und den Rückert-Wander-Weg in dem BR-Beitrag “Winterwanderungen durch Franken” porträtiert, der sich in der BR-Audiothek kostenfrei hier hören lässt. Zwei besondere Etappen des Rückert-Wegs werden in Magirius`neuem Buch “Frankenfreude – 33 überraschend schöne Orte” vorgestellt. Es erscheint im Mai 2023 unter dem Lektorat von Thomas Häußner und Melanie Zeuß im Würzburger Echter Verlag.