Religion und Poesie, Spirituelle Wanderungen
Schattenglück
Optimale Zutaten beim “Pilgertag für Romantiker” der Reihe GangART im September 2023: Die Wiesenwege der 12 km langen Traumrunde von Marktbreit nach Obernbreit im Fränkischen Weinland scheinen die Füße ins Schweben zu bringen. Von den Höhen wandern die Augen in ferne Weiten. Damit aber nicht genug: Der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius, der die Tour leitet, reicht Worte der romantischen Dichter Eichendorff und Rückert. Da will Gott rechte Gunst erweisen. Und grüne Vögelein kommen vom Himmel her geflogen im fröhlichen Gewimmel. Sie „aßen Licht, sie tranken Tau“ und „wollten auch nicht schweigen. / Sie sangen leise, leise / Auf ihre stille Weise / Von Sonnenschein und Himmelblau.“ Aber wer kommt mit so viel Sonnenlicht und Himmelbau auf Dauer zurecht? Ohne Schattenglück vermutlich niemand.
Wagnis
Ungeplant ziehen die Pilger daher ins Dickicht. Abseits der markierten Traumrunde wagen sie sich in den Wald. Ein Pfad führt über Moos, immer wieder über und durch Brombeerranken. Nach Maßstäben spiritueller Hochglanzmagazine ist das suboptimal. Aber Schatten erlebt selbst Eichendorffs aufgeweckter Fußgänger aus der Novelle “Aus dem Leben eines Taugenichts”. Bei seinen ersten Schritten ist es ihm „wie ein ewiger Sonntag im Gemüte“. Zur Geige singt er „aus lauter Kehl und frischer Brust“, denn “die Lerchen schwirren hoch vor Lust”.
“Schweigt der Menschen laute Lust”
Dann aber kommt die Nacht. Und es entfaltet sich, was kein Sonnenlicht ausleuchtet. „Schweigt der Menschen laute Lust / Rauscht die Erde wie in Träumen […] Und es schweifen leise Schauer / Wetterleuchtend durch die Brust“. Die Romantik beginnt womöglich gerade dann, wenn das Licht ein Ende nimmt. Und man sich keinen Reim mehr machen kann. Denn Licht reimt sich nicht auf Schatten. Ohne den Mut jedoch, dem Ungereimten nachzugehen, führte der Weg nicht ins Helle.
Neun Meter unter der Erde
Die Tür öffnet sich wie der Vorhang im Theater. Hinter einem Scheunentor, das zur Seite rollt, geht es in die ehemalige Synagoge Obernbreits. Bis 1911 wurde dort aus aus der Thora gelesen und gesungen. Thora? Das sind die Schriften, ohne die niemand Eva, Adam oder ein Sabbatical kennen würde. Dazu die Worte von der Liebe zu sich selbst, dem Fremden, Allerhöchsten und Nächsten. Oder die zehn Gebote und Spirituals, die vom Ende der Unterdrückung singen. Altbürgermeister Friedrich Heidecker zeigt, wo der Thoraschrein stand. Und weist den Weg zur Mikwe, dem in Unterfranken einzigartig erhaltenen rituellen Tauchbad. Neun Meter unter der Erde ist es erfrischend kühl. Und das Grundwasser so klar, dass schon mancher unversehens ins Wasser getreten ist, sagt Heidecker. Die Pilger freilich steigen trockenen Fußes wieder auf. Vielleicht weil sie den Tag nicht dazu angetreten sind, um unablässig munter vorwärtsstampfend zu behaupten, es gäbe nichts als Oberflächenphänomene?
Ruhe unter Bäumen
So suchen die Pilger immer wieder Schatten. Und finden ihn, ruhen unter Bäumen. Sie verkaufen auch nicht ihren wie der Protagonist in „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ des romantischen Dichters Adalbert von Chamisso. Stattdessen nehmen sie, da die Rast zu Ende geht, ihren Schatten wieder mit. Sie stehen zu ihm. Und gehen mit ihm während eines ganzen langen Sonnentages. Allerdings essen sie nicht allein Licht, sondern auch Dörrplooz, Kipf, mürbe Hörnchen und Kringel des Obernbreiter Bäckermeisters Christan Geitz. Und sie staunen, wie das Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit über dem Breitbach zu schweben scheint.
Hollywood ist neidisch
Außerdem schweben erneut Pilgerfüße durch die Luft, was keine Metapher, sondern Tatsache ist. Die freilich ohne hektisches Tun auskommt. Selbst der schärfste Empiriker oder Vertreter der Ich-glaube-nur-was-ich-mit-eigenen-Augen-gesehen-habe-Fraktion kann dieses Schweben nicht als irreal abtun. Denn wie Friedrich Rückerts grüne Vögelein schaukeln die Pilger “in Lüften lau / auf ihren schwanken Zweigen”. Wobei die Zweige genau genommen zusammengefügte Hölzer sind, auf die ganz Hollywood und sämtliche Einfamilienhausgärten Deutschlands neidisch sein dürften. Denn keine Schaukel hat eine Aussicht wie diese: auf den verspielt-barocken Turm der Bartholomäuskirche von Obernbreit.
Winterglück im Hörfunk
Die Fotos des Wander-Rückblicks auf die Tour “Pilgern für Romantiker” stammen von Christel Bax-Weyer, Charmaine Weller und Georg Magirius. Die Traumrunde ist nicht nur bei Sonne und Schattenglück, sondern auch bei Schnee begehbar. Darüber informiert die Sendung “Winterwanderungen durch Franken” des Bayerischen Rundfunks. Sie berichtet vom romantischen Dichter Friedrich Rückert aus Schweinfurt, vom Museum Malerwinkelhaus Marktbreit und einem unverwechselbaren Lebkuchen, den Bäckermeister Christian Geitz erfunden hat. Die Sendung ist in der BR-Audiothek hier kostenfrei hörbar.
Die Reihe GangART
GangART ist eine Reihe spiritueller Tagestouren durch Odenwald, Fränkisches Weinland, Spessart, Schwarzwald, Haßberge, Steigerwald, Taunus, Frankfurt und Rhön. Rückblicke auf zurückliegende Touren sind hier. Termine kommender Wanderungen – etwa “Auf dem Sprung”” am 17. Februar 2024 – sind hier angezeigt.
Frankenfreude
Die Wanderung auf der Traumrunde von Marktbreit nach Obernbreit ist inspiriert vom Buch “Frankenfreude – 33 überraschend schöne Orte”. Georg Magirius hat es im Echter Verlag veröffentlicht. Thomas Häußner hat die Frankenfreude angeregt, Melanie Zeuß hat das Buch lektoriert. Es hat Fotos und Einkehrtipps. Eine Leseprobe und Pressestimmen sind hier.