Neues Leben

Angst als Zeichen neuen Lebens

Aus Angst wird Ruhe werden - Foto (c) Georg Magirius, Collenburg am Main

Angst lähmt. Aber sie kann auch das Zeichen neuen Lebens sein, behauptet der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius in seinem Essay “Aus Angst wird Ruhe”. Veröffentlicht hat er es in der Osterausgabe des Evangelischen Sontagsblatt aus Bayern vom 31. März 2024. Die Redaktion hat Susanne Borée.

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Zuweilen wundere ich mich, wie wenig sich Menschen zu wundern trauen. Wenn ich in Diskussionen, im Fernsehen oder im Radio Stimmen, Statements, Debatten und Erklärungen höre, werden Worte fraglos aneinander gereiht. Der Gedankenstrich – dieses Zeichen gibt es so gut wie nicht. Medienschaffende laden andere Medienschaffende zum Interview, weil sie dann sicher sind: Der Eingeladene redet so, wie man heute eben zu sprechen hat, ohne Zögern und möglichst rasant. In den Statements wird vorangeprescht bis zum grandiosen Schluss, dem Punkt. Die Sache ist abgerundet.

Fantastische Verwandlungen

Wieso aber wünscht man sich, dass möglichst alles überzeugend klingt? Weil sich womöglich viele fürchten, dass das Leben überhaupt nicht abgerundet, sondern unkontrollierbar groß und unbestimmt sein könnte. Es kann unfassbar offen sein, voller Möglichkeiten, Kuriositäten und Unbekanntem stecken – was natürlich Angst zu bereiten vermag. Wohl deshalb versucht man, es immer wieder glatt zu sprechen. So hofft man, dass alles bleibt, wie es auch schon gestern war. Ecken und Kanten, die einladen, das große Unbekannte, die fantastischen Verwandlungen des Lebens zu bestaunen, fallen durch das Raster. Dort bleibt nur das gewohnte Reden hängen, das eingängig und plausibel wirkt.

Stottern

Auch bei dem Ereignis, mit dem der christliche Glaube seinen Anfang nahm, hoffen viele: Es soll überzeugend wirken: Jesus lebt! Das ist vielen zum Gewissheitsruf an Ostern geworden, laut und kraftvoll soll er erschallen. Wie mitreißend sind Jubelrufe. Nur lassen sie sich nicht befehlen. Ich hege sogar den Verdacht, dass eine wahrhaftige Begeisterung fürs Leben irritierender Weise aus der Furcht heraus wächst. Die älteste, im Markusevangelium aufgezeichnete Geschichte von der Auferstehung Jesu erzählt: Am frühen Morgen des dritten Tages, als die Frauen zum Grab Jesu kamen, war nichts glatt, rund und überzeugend. Der Hinweis auf das, was dem Tod überwand, spielte sich vielmehr stotternd ab. Was geschah, war nicht debattentauglich – denn die Auferstehung Jesu begann mit Leere, einem tiefen Schweigen.

Sprechen wir vom Ei

Wer hält es aus? Es fällt schwer in Zeiten, in denen im Hörfunk bald jede Atempause weggeschnitten wird. Auch an den österlichen Feiertagen wagt man sich nicht mehr zu wundern. Das Feiertagsprogramm wirkt eingefahren: Manche reden einfach weiter. Andere entscheiden sich, Frühlingsboten vorzustellen. Wieder andere wagen sich dann doch einmal an die Frage: Wie soll Auferstehung für aufgeklärte Menschen verständlich sein? Kommen dann aber bald zur Antwort: Gar nicht, also sprechen wir doch lieber wieder vom Ei. Das Brauchtum hat Konjunktur.

Fassungslos

Zu Ostern würde ich gern in die diese Debatten hinein rufen: Halt! Die Geschichte von der Auferstehung hat eine Relevanz! Nur tritt sie nicht erwartbar auf, nicht jubelnd, überzeugend oder frühlingsfreundlich. Was über den Tod hinausweist, beginnt nicht rund und wortgewandt. Das Leben wird stattdessen aus der Fassung gejagt. Das ist nicht nett, sondern erschreckt. Nichts scheint mehr da zu sein als Furcht. WEITERLESEN