Allgemein, Religion und Poesie

Gemeinschaft der Falschsänger

Dekanatskonator Simon Daubhäußer und Theologe Egbert Ballhorn - Propsteikirche Dortmund sympathisieren mit einer Kirche als Gemeinschaft der Falschsänger- Foto (c) Georg Magirius

Die Kirche sollte ein Ort sein, an dem jeder mit seiner Stimme vorkommen darf, selbst wenn ein Ton daneben geht. Das hat der Theologe Egbert Ballhorn im Interview für die Sendung „Der Klügere singt“ von Georg Magirius gesagt. Die Sendung vom 7. April 2024 auf BR2 ist in der ARD-Audiothek hörbar. Die Kirche wäre damit – zugespitzt gesagt – eine Gemeinschaft der Falschsänger, dafür aber vital. Denn keiner müsste mehr vorgeben, mit ihm sei alles stets richtig, gut oder auch unauffällig durchschnittlich. Ein Anspruch, der ohnehin eher im Gegenteil mündet, womöglich gar in einem exzessiven Falschmachen.

Egbert Ballhorn: Fehler machen dürfen

Ich habe von einem Journalisten im Radio einmal eine ganz tolle Definition von Kirche gehört, der sagt: Kirche ist der Ort, wo man so laut und so falsch singen darf, wie man möchte. Das finde ich ganz wunderbar und sympathisch. Jeder trägt etwas bei mit seiner Stimme. Und es findet keine Zensur statt. Es bildet sich eine Gemeinschaft und wir tragen das mit und bringen das ein, wie wir sind, und wenn wir nicht gut sind, sind wir auch Teil der Gemeinschaft.

Egbert Ballhorn im BR hören

Kein Misston ist ausgeschlossen

Für diese Kirche, in der man falsch singen darf, gibt es laut Ballhorn ein ideales Gesangbuch. Die Psalmen sind das älteste Lieder- und Gebetbuch der Juden und Christen. In ihm sind Misstöne nicht ausgeschlossen: Wut, Exaltiertheit, Verzweiflung, Hilflosikgeit und eine Dynamik, für die Fortissimo als Charakterisierung untertrieben ist. Die Psalmen sind das weltweit mit Abstand meist übersetzte Lyrikbuch – auch heute noch. In den Kirchen selbst allerdings scheint man sich dieser lebenssatten Vielstimmigkeit zuweilen zu schämen. Womöglich ist Ballhorn deshalb Psalmenforscher geworden? Bei der Übersetzung dieser Texte für die neue Einheitsübersetzung der Bibel war er tonangebend.

35 Jahre Abstellgleis

Als Junge war seine Stimme nicht unbedingt gefragt, erinnert er sich im BR: „Egbert, du brauchst nicht mehr kommen, du kannst nicht singen.” Das sagte der Chorleiter der Schola, in der Ballhorn kurz nach der Erstkommunion begeistert sang. Die Folge: 35 Jahre war die Singstimme auf dem Abstellgleis, bis der Theologe während eines Sprechtrainings für das Unterrichten als Professor die Grenze wieder zu überschreiten wagte. „Als ich das erste Mal einen gesungenen Ton von mir selber hörte und im Körper spürte, die Vibrationen im Körper ganz anders wahrnahm – das hat mich umgehauen.“ Seitdem fühlt er sich wieder als vollständiger Mensch. Und gestaltet in der Propsteikirche in Dortmund mit Kantor Simon Daubhäußer Wortgottesdienste, in denen viel gesungen wird – nicht zuletzt Psalmen.

Eingebettet

Für Daubhäußer ist das Singen der natürliche Stimmausdruck des Menschen, natürlicher als Sprechen, bei dem man sich verstellen könne. Beim Singen gehe das nicht. Das Besondere am gemeinsamen Singen: Es verlange, auf seine Stimme zu achten und sich mit ihr in dem Gesamtklang einzufügen. Wie achtet man aber am besten auf seine Stimme? Indem man einen verblüffenden, gewagten Umweg geht, nämlich aufhört, das zu versuchen, was beim gemeinsamen singen gar nicht geht: auf sich selbst zu hören.

Simon Daubhäußer: Seine Stimme einbetten

Das Psalmensingen oder das Singen gemeinsam in der Gruppe verlangt, dass man sich synchronisiert. Das ist für mich das Faszinierende am Singen: in dem Moment: wo ich als Gruppe, egal ob mehrstimmig oder ein Kirchenlied, gemeinsam singe, höre ich auf die anderen, obwohl ich mich selbst am schlechtesten höre, und eigentlich durch dieses Hören der anderen mein eigenes Singen dort einbette.

Simon Daubhäußer im Bayerischen Rundfunk

Raumglück

Für Egbert Ballhorn ist das Singen im Kirchenraum besonders wertvoll.. Man wage sich mit seiner Stimme heraus, zeige sich öffentlich. Hinzu kommt:

Egbert Ballhorn: Kirchenraumglück

Ich spüre, wie meine Stimme den Raum füllt – und der Raum gibt mir etwas wieder. Das verändert auch mein Körpergefühl. Ich bin nicht nur mein Körper, sondern meine Raumsphäre dehnt sich aus auf die anderen und den Raum, der im Echo mir etwas wiedergibt. Das ist eine ganz eigentümliche und eine ganz schöne Erfahrung. Und im Lockdown in der Coronazeit habe ich mit am meisten vermisst, solche Räume nicht mehr betreten zu dürfen. Einfach nur eine Zimmerdecke über sich zu haben in allem, was man singt und spricht und hört, ist etwas ganz anderes als wenn ich im Kirchenraum bin, der mir eine ganz andere Weit gibt und deswegen auch ganz anders auf mein Singen und meine Stimme reagiert.

Egbert Ballhorn im Bayerischen Rundfunk

Die Sendung in der ARD-Audiothek

Die Sendung “Der Klügere singt – Von einer unverlierbaren Gabe des Menschen” von Georg Magirius vom 7. April auf BR2 ist in der ARD-Audiothek hörbar. Neben Simon Daubhäußer und Egbert Ballhorn sind der Hymnologe Ansgar Franz vom Mainzer Gesangbucharchiv zu hören. Außerdem singt der Kinderchor der Evangelischen Kirchengemeinden Nied und Griesheim unter Leitung des Kantors Lukas Ruckelshausen. Die Kinder erklären auch, was Singen ist, wie es sich anfühlt und was es bewirkt. Friedrich Karl Barth, von dem viele Lieder in den aktuellen Gesangbüchern der beiden großen Kirchen stehen, sagt, was das womöglich wichtigste am Singen ist: Seine Stimme finden und anderen Stimme geben. Die Redatkion der Sendung hat Sabine Winter. Es spricht Ruth Geiersberger, die Regie hat Sabine Kienhöfer und das Produktionsmanagement liegt bei Gena Blich und Ingrid Schillinger.