Abschied, Neues Leben
Mit 50 Äbten Grenzen überschreiten
Wenige Tage nach Ostersonntag 2024: Die Schafe auf der Wiese unterhalb des Aussichtspunkts des Ortes Hegne am Bodensee haben sich weit den Hang hinaufgewagt. Dabei ist kein schützender Hirte in der Nähe. Auf den ersten Blick. Denn im Hotel St. Elisabeth am unteren Ende des Hangs tagen fast 50 Benediktineräbte und Äbtissinnen. Anlass für das Treffen der Salzburger Äbtekonferenz am Bodensee ist die Insel Reichenau, auf der 1300 Jahre zuvor die Abtei gegründet wurde – mitten im See und im heutigen Dreiländereck. Davon angeregt lautet das Thema des Studientags: „Gegenwart deuten – Zukunft gestalten – Grenzen überschreiten“. Der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius gibt Impulse und moderiert den Tag.
12 Quellen und 70 Palmbäume
Mit der biblischen Exodustradition regt er zu einem Grenzgang an. Auf den Spuren der Hebräer geht es aus der Knechtschaft hinaus, über die Grenze in die Freiheit. Es wartet das Gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen. Erst aber kommt die Wüstenwanderung. Von denen, die starten, kommt bis auf Josua niemand an. Trotzdem kehrt über viele Jahre niemand um. Was treibt die Wanderer an? Nach Magirius sind es Vorboten des versprochenen Landes: Manna. Trompeten. Die von Mose auf dem Berg gemeißelten zehn Worte. Der Wanderstab, eine Art drittes Bein. Das Offenbarungszelt oder die Oase Elim, wo sie auf 12 Quellen und 70 Palmbäume treffen. So haben die Grenzgänger unterwegs bereits in der Wüste eine Ahnung davon, was auf der anderen Seite wartet. Erfüllung im Augenblick. Hindernisse tauchen trotzdem immer wieder auf, dazu ist der Untergrund karg.
Eine Quelle
Die Symbole werden mit Lebenserfahrungen ins Gespräch gebracht. Gut sei es, einen Stab zu haben, der aufrichtet. Ein Zelt, das Schutz gibt, das freilich nichts Ewiges ist. Erfrischungen, die von sichtbaren Quellen und doch einer zugrundeliegenden Quelle kommen. Musik, die in Dialog über Grenzen tritt. Eine Speise, die nicht aufhört, sondern mehr wird, indem man teilt. Oder ein Wort, das nicht steinern bleibt, sondern lebendig, gleichsam flüssig, mehrdeutig, jemanden persönlich meint und auch erreicht: ein Brief.
Die Sehnsucht ist ungebrochen
Liegt es daran, dass man Symbolen nachsagt, Erfahrungen zu verdichten, ohne sie zu verdünnen, sondern dabei zu vertiefen? Die grenzüberschreitenden Bilder ermöglichen, Fragen zur Sprache zu bringen, die die Größe haben, keine schnelle Antwort zu erzwingen. Klöster sind für kaum zählbar viele Menschen eine Oase. Ausflugsziel, Kraftort, Lebensquelle. Die Sehnsucht nach solchen Ruheorten scheint ungebrochen, wächst womöglich gar, ist vielleicht eins der drängendsten Begehren in einer Zeit, in der schon Fußballprofis beginnen, offen über ihre sogenannten mentalen Schwierigkeiten zu sprechen. Nur: Wer pflegt Oasen, wer kümmert sich um solche Orte? Ist das Zelt, das sich über Menschen bergend spannt, überspannt? Was wird aus diesen Orten? Die Zahl der Pflegekräfte und Sich-Kümmernden wächst nicht unbedingt in gleicher Weise wie die Sehnsucht nach solchen Lebensorten.
Am Ende leben alle
Zeit fürs Stundengebet: die Vesper. Zuvor erzählt Magirius noch von einer merkwürdigen Begebenheit aus dem Alten Testament. Eine Trauergesellschaft lässt eine Leiche ins Grab plumpsen – vor Schreck, weil Feinde nahen. Man flieht und rettet sich. Der Tote fällt dabei offenbar so heftig oder zielsicher auf die in der Tiefe ruhenden Gebeine des einstigen Wundermannes Elisa, dass der Fallengelassene ruckartig lebendig wird. An diesem Tag hätte es noch viele weitere Tote geben können. Doch die Gegenwart sieht anders aus, Zukunft lässt sich gestalten, resümiert Abt Theodor Hausmann, Leiter der Salzburger Äbtekonferenz. Denn: „Ein Toter fällt ins Grab. Am Ende leben alle.“