Spirituelle Wanderungen, Stille
Stilleduett mit PKWs
Ein Stilleduett mit PKWs erleben 20 Pilgerinnen und Wanderer im Sommer 2024. Sie sind unterwegs von Gommlo nach Kemberg zum Pilgerfest des Evangelischen Kirchenkreises Wittenberg. – Ein Bericht vom Fest ist hier. – Die Leitung der zweistündigen Tour haben Pfarrer Matthias Keilholz, der orts- und kirchenkundige Karsten Nowack und Georg Magirius von der Reihe GangART. „Vielleicht erleben Sie Gott heute ganz anders“, ermuntert Keilholz in der Dorfkirche, sich auf Ungewohntes einzulassen. Fast die gesamte Strecke wandern die Festgänger schweigend. Kekse, Blasenpflaster, Stift, Pilgerbuch und Regenschutz sind in dem Pilgerbeutel, den sich jeder ausgangs der Kirche nimmt.
Mit und ohne Sattel
Eine andere Pilgergruppe unterwegs zum Ziel hat Pferde dabei. In den Sattel steigen Pilger auch in Rackith. Unter Leitung von Superintendentin Dr. Gabriele Metzner fahren sie Rad. Die Stillegänger, die das Ortsschild von Gommlo hinter sich lassen, nehmen nicht den direkten Weg. „Es kommt auf die Zusammenhänge an“, sagt Karsten Nowack. Es geht nach Gaditz. Dort lebten Ritter, die das Patronat der Kirche in Gommlo inne hatten.
Stille ist die Überraschung
„Im Alltag merke ich oft nicht, welche Geräusche an mein Ohr und in mein Gehirn dringen“, lässt Magirius die Autorin Amet Bick aus „Stille erfahren“ zu Wort kommen. „Immer feiner versuche ich zu unterscheiden, was an mein Ohr dringt.“ Von der Landstraße sind die Pilger in den Wald abgebogen. Dort legt sich der Wind, der im Freien mit der Frage beschäftigt schien, ob er vollends aufbraust. Ein Kuckuck ruft. Weich. Die Schritte sind hörbar, dazu der eigene Atem. Junge Birken flankieren den Weg. Dann wieder zeigen sich riesenhaft wirkende Eichen. Ruhe lasse sich erzwingen. Dann herrsche, wie manche sagten, endlich Ruhe, schreibt der Lyriker Uwe Kolbe in „Stille erfahren“. Unter dieser Herrschaft wolle er allerdings nicht leben. Stille jedoch sei anders. Sie herrsche nicht, sei unbezwingbar. Sie ist frei. „Stille ist die Überraschung“.
Pilgern mit Rosa Luxemburg
Während der konditionsstarke Teil der Gruppe erkundet, was vom Rittergut in Gaditz noch zu sehen ist, rasten die Übrigen in einem für Bushaltepunkte außergewöhnlich gepflegten Wartehäuschen. Ein Bus pro Tag, sagt der Fahrplan. Also weiter: zu Fuß. Es ist das Finale. Dabei wirkt die Zielgerade, die Rosa-Luxemburg-Straße, nicht wie der ideale Untergrund für einen Stilleweg. Das Widrige allerdings wird zum Ausdruck des Gegenteils. Konzentriert geht man hintereinander, um entgegenkommenden PKWs wenig Angriffsfläche zu bieten. Der Weg an der Straße ist verwirrend abseitig. Hier wird sonst kaum jemand entlangschreiten, wenigstens kein Freund zertifizierter Premiumwanderwege. Auch handelt es sich nicht um eine hochfrequentierte Schneise zu einer angesagten Meditationsstätte zwecks Erringung eines spirituellen Mehrwerts. Aber gerade das gibt dem Gehen einen eigenwillig meditativen Reiz.
Segensworte hetzen nicht
Auf einem Wiesenstreifen neben der Straße, den Kirchturm von Kemberg vor Augen, mündet das Schweigen in alte Segensworte. Ihr Klang versucht mit der gut hörbaren Schnelligkeit der Autos erst gar nicht mitzuhalten, könnten sie auch nicht übertönen. Der Segen hetzt sich nicht ab. Stattdessen lässt er dem Brausen der Autos Raum, in denen bei genauem Hinsehen gut erkennbar Menschen sitzen. Sie fahren mit Abstand an den Pilgern vorbei. Einige winken. – Die Fotos stammen von Matthias Keilholz, Albrecht Henning, Georg Magirius und Uwe Kröber.
Die Reihe GangART
Georg Magirius leitet in der Reihe GangART spirituelle Tagestouren durch Taunus, Schwarzwald, Odenwald, Haßberge, Rhön, Steigerwald, Spessart und das Fränkische Weinland. Die Gruppe bildet sich für jeden Gang neu. Ein Echo erfährt die Reihe zum Beispiel in der Zeitschrift “einfach leben“, in BR-Heimat, Publik-Forum, BR2, HR, FAZ, Main-Post, Leipziger Zeitung, Deutschlandfunk, Frankfurter Neue Presse oder im Main Echo. Georg Magirius hat mehrere Pilger- und Wanderbücher veröffentlicht, etwa “Stilles Frankfurt” oder “Frankenfreude – 33 überraschend schöne Orte”. Rückblicke zu früheren GangART-Rouren sind hier. Aktuelle Termine finden sich hier.