Neues Leben, Stille
Die Leisen sind die Starken
Die Extrovertierten und Macher-Typen sind glücklich, erfolg- und einflussreich, lautet eine gängige Sichtweise. Oft aber sei es umgekehrt: Die Leisen sind die Starken. Das sagt die Linguistin und Autorin Sylvia Löhken im Gespräch mit dem Journalisten und evangelischen Theologen Dr. Lothar Bauerochse in dem jetzt erschienenen Publik-Forum Extra “Stille”. Die Stillen, zuweilen als graue Mäuschen belächelt, seien vorsichtig. Allerdings: „In einer Zeit, in der es extrem viele Risiken zu managen gibt, sind Introvertierte oft wie ein Fels in der Brandung“, sagt Löhken. Außerdem können sie gut zuhören, erreichen dadurch viel eher Menschen, denken analytisch und bohren beharrlich dicke Bretter. Deshalb seien sie oft wirkungsvoller als die Lauten, heißt es in dem von Dr. Lothar Bauerochse und Doris Weber herausgegebenen Band.
Finden ohne Suchen
In ihm finden sich viele Überraschungen. Der Jesuit und Zen-Meister Niklas Brantschen verblüfft etwa damit: Stille – obwohl eins der gesuchtesten Güter dieser Zeit – müsse nicht gesucht werden.
Im Grunde längst da: Stille
Wenn ich gesammelt sitze und auf den Atem achte, erfahre ich, dass Stille im Grunde da ist. Es ist wie bei einem See: Wenn ich nicht darin stochere, glättet er sich, und ich sehe bis auf den Grund. Stille schafft Klarheit. (Niklas Brantschen in: Stille – Ich lasse meine Seele ruhig werden)
Gehörlose im Vorteil
Die Stille ist offenbar so kostbar, dass Gehörlose das Hören-Müssen handicapfreier Menschen als unangenehmes, ja fast schon gnadenloses Los ansehen. Das hat der Schriftsteller Ulrich Land an einer Gehörlosenschule erfahren. Hörende müssten langwierige Reisen in stille Gegenden unternehmen, könnten nicht abschalten. Gehörlose schon, nämlich dank ihrer Hörprothese, die sie anschalten können, aber auch ausmachen. „Ihr als Hörende, ihr hört ja sogar in der Nacht Geräusche“, bedauert Mona die Hörenden: „ Und ihr habt niemals Stille“.
Unduldsame Frauen
Die Psychologin und Autorin Luitgard Jany hinterfragt das Stereotyp, nach dem Frauen duldsam seien, während Männer tatkräftig. Meist sei es umgekehrt: Frauen sind eher bereit sich einzugestehen, wenn das Leben nicht stimmig ist. Sie ergreifen die Initative, weil sie wahrnehmen, dass „es so nicht weitergehen sollte“.
Minutenlange Gänsehaut
Stille im Kino zieht an, schreibt die Journalistin und Radiomoderatorin Daniella Baumeister. Für den Regisseur Alfred Hitchcock sei Stille „ein mächtiges Stilmittel.“ Wenig oder kaum Musik, über lange Strecken kein Wort oder Geräusch in „Die Vögel“ oder in „Der unsichtbare Dritte“ – das sorge für eine minutenlange Gänsehaut, selbst wenn man den Film schon oft gesehen habe.
Wiedersehen auf dem Friedhof
Elke Hostmann erlebt Stille in der Großstadt, an einem Ort, der für viele überhaupt nicht beruhigend ist: auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Davon erzählt sie in dem Beitrag „Abstand zur Welt“ von Georg Magirius, der ganz persönliche Stilleoasen in der Stadt vorstellt. Auf dem Friedhof, an einem Ort des Abschieds, hat Hostmann außerdem manches Wiedersehen erlebt: „Ich habe hier schon unverhofft Leute getroffen, die ich lange nicht gesehen hatte“.
Stille – Ich lasse meine Seele ruhig werden
Doris Weber und Lothar Bauerochse haben das Publik-Forum Extra “Stille – Ich lasse meine Seele ruhig werden” herausgegeben. Das Layout des mit vielen Grafiken und Bildern versehenen Extra-Bandes liegt bei Renée Schneider. In dem Band finden sich Gedanken und Texte von Niklas Brantschen, Mathias Jung, Michael Martin, Luitgart Jany, Daniella Baumeister, Ulrich Land, Stefan Herok, Vera Kaltwasser, Michael Hollenbach und Georg Magirius. Es ist im Juli 2024 erschienen, kostet 9,50 Euro. Die ISBN-Nummer lautet 9783880953727. Das Heft bestellen hier.