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Das Ende der Askese

Das Original: Das Ende der Askese

Viele machen sich ganz selbstverständlich Vorstellungen vom Jenseits. Aber verblüffender Weise nicht die Theologen, schreibt die Juristin und Theologin Henriette Crüwell in ihrem Beitrag „Wie sieht’s im Himmel aus?“ Der Beitrag ist angeregt von Gedanken des Schriftstellers Georg Magirius. Die Pfarrerin und Pröpstin Henriette Crüwell ist Kandidatin für die Wahl um das Amt der Kirchenpräsidentin in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau im September 2024. Ihr Essay über den Himmel hat sie in der „Evangelischen Sonntagszeitung“ und in „Der Sonntag“ (Sachsen) veröffentlicht. Die Scheu, sich den Himmel auszumalen, stellt die Pfarrerin bei sich fest. Andererseits spüre sie den Wunsch nach einem bilderstarken Glauben. Es wäre das Ende der Askese, der Abschied von der Traumdiät.

Blümchen!

So könne Crüwell die Enttäuschung der hochbetagten Marie Rosa aus Gabriele Wohmanns Roman „Bitte nicht sterben“ nachvollziehen. Marie Rosa erhält an ihrem Geburtstag von einem Pfarrer Besuch. Auf ihre Bitte „Erzählen Sie mir was vom Jenseits“ antwortet er nicht. Er hat keine Idee, sondern verweist verlegen, scheu und doch abgeklärt auf Blümchen im Garten und den gegenwärtigen Augenblick, an dem Marie Rosa sich noch immer erfreuen könne.

Georg Magirius und Gabriele Wohmann stellen bei einer Lesung mit 350 Besuchern "Sterben ist Mist, der Tod aber schön vor"

Ende der Askese: Vanilleeis

Auf die von Crüwell vorgestellte, in Wohmanns Roman zur Sprache kommende Hilflosigkeit heutiger Theologen hat Georg Magirius zuvor ganz ähnlich aufmerksam gemacht in der Sendung „Kurz bevor der Vorhang aufgeht – Moderne Schriftsteller und Auferstehung, gesendet im Schweizer Radio, im BR und im SWR. Außerdem ist das Jenseitsschweigen der sonst als eloquent geltenden Theologen Ausgangspunkt in seinem vom HR gesendeten Wohmann-Porträt. Darin erzählt die Autorin, beim Verzehr von Bottichen mit Vanilleeis einen Vorgeschmack vom Jenseits zu bekommen.

Sterben ist Mist

Cover des Buches "Sterben ist Mist, der Tod aber schön" von Georg Magirius und Gabriele Wohmann

Wohmann, die am 21. Mai 2022 90 Jahre alt geworden wäre, hat in dem Roman “Bitte nicht sterben” die Sprachlosigkeit der Theologen nicht nur konstatiert, sondern spielerisch Bilder für die Jenseitshoffnung formuliert, ebenso und wie nebenbei platziert in vielen anderen ihrer Bücher. Diese Bilder hat die als Königin der Kurzgeschichte geltende Autorin fortgesponnen in dem von Magirius angeregten und herausgegebenen Band „Sterben ist Mist, der Tod aber schön“. Magirius hat seine Bilder vom Jenseits in „Schmetterlingstango“ vogestellt.

Das Ende der Askese: Zweite Naivität

Jenseitsbilder seien nicht unvernünftig, schreibt Magirius in “Schmetterlingstango” und weist auf die vom Philosophen Paul Ricoeur ins Spiel gebrachte Zweite Naivität hin, einen Weg zur Wiederentdeckung der Fantasie. Diesen Gedanken von Magirius stellt Crüwell ebenfalls in ihrem Beitrag vor. Denn die Askese der Theologen beim Glauben an ein Leben nach dem Tod wirke nicht tröstlich und zukunftsfroh. „Wie sieht’s im Himmel aus?“, Crüwells Plädoyer für mehr Mut zur Fantasie inklusive der ungenannt gebliebenen Ideenübernahme ist hier. Die Redaktion hat Andrea Seeger. Henriette Crüwell ist seit 2022 Pröpstin für Rheinhessen und das Nassauer Land und Teil der Geistlichen Leitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.