Abschied, Neues Leben
Wegweiser Teekanne
Alles soll möglichst makellos und präsentabel sein, wünschen viele. Stärker allerdings ist der Weg zur Unvollkommenheit. Das schreibt der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius in seiner Wander-Reportage „Über das Träumen im Advent“ im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern vom 1. Dezember 2024. Die Redaktion hat Susanne Borée. Beispielhaft für den Weg sei die Begegnung mit einer Teekanne, eigentlich ein Symbol der Behaglichkeit. Sie steht Kopf, ist auf die Latte eines Gartenzauns gestülpt. Trotzdem wirkt die den Garten schmückende Szenerie auf schöne, traumartige Weise widerständig. Denn der Wegweiser Teekanne zeigt: “Was ausgedient hat, kann auf andere Weise Fortgang finden”, heißt es in der Reportage.
Alles nur geträumt?
Auf dem Weg zur Unvollkommenheit helfe es, Gefahren und Ängste nicht zu überspielen. Das Träumen stärke dabei die Widerstandskraft. Dank ihm bleibe die Geschichte vom Friedenskönig nicht im Anfang stecken, erzählen die Weihnachtsgeschichten der Evangelien: Ein Engel erscheint den Weisen aus dem Morgenland und Josef von Nazareth im Traum. Nachts finden sich überraschende Lösungen. So kann Baby Jesus, gegen das eine ganze Schar von Soldaten in den Kampf zieht, überleben.
Schnee auf dem Sommerberg
Auch die Wanderung auf den Spuren der Teekanne im fränkischen Odenwald bei Amorbach bringt ins Träumen. Dabei ist der Spätherbst nun wirklich keine optimale Wanderzeit. „Der Pfad windet sich in Serpentinen den Sommerberg hinauf. Er ist mit Blättern übersät. Während wir gehen, kommen weitere dazu. Da sind Wurzeln, größere Steine, die nass und rutschig sind. Es beginnt zu regnen.“ Der das Tal durchwabernde Nebel und der Regen freilich werden zum Stoff, aus dem das Träumen ist. Das Dach der Hütte auf dem Sommerberg ist frisch bezogen. Dank des Gehens bergauf hat sich der Regen in Schnee verwandelt. „Wir öffnen die Thermoskanne, genießen die Stille.“
Das Unvollkommene tröstet
Die Wanderung hat die Ruine der Klosterkirche auf dem Gotthardsberg zum Ziel. Sie hat viele Male Gewalt erfahren. Kriege setzten ihr zu. Auch der Blitz verhinderte, dass sie als fit für die präsentationstechnischen Erfordernisse der Gegenwart gelten kann. Doch es ist gerade der Charakter der Unvollkommenheit, der tröstet.
Auf einmal heller als zuvor
„Der Altar fehlt schon längst. Es lässt sich aber vermuten, wo er im Chorraum gestanden hat. Die Friese an den Säulenkapitellen treten erschütternd schön hervor. Das Licht findet ungetrübt ins Innere. In dieser Kirche ist der Himmel niemals ausgeschlossen. Wir steigen auf den Turm der Kapelle, von dem sich in viele Täler schauen lässt, was sich grenzenlos anfühlt. Der Nebel hat sich verzogen. Obwohl es dämmert, ist es auf einmal heller als zuvor.“
Den Schrecken entwaffnen
In der Bibel zeige sich, wie Bilder des Schreckens umgedeutet werden. Etwa in prophetischen Visionen, die dem Träumen auf faszinierende Weise ähnlich seien. Sie greifen alptraumhafte Situationen auf, auf die Bilder des Schreckens ein, führen sie fort und geben ihnen eine befreiende Wendung. Die traumartigen Friedensvisionen zielen auf das Ende von Gewalt und Tod. Doch die Tagesrealität färben sie damit ncht schön. Sie ist gerade der Ausgangspunkt, der Anderes erhoffen lässt – gerade im Advent, in dem seit alters her ganz neu der erwartet wird, der Frieden bringt.
Ende des Marschierens
„Diese Visionen sind klarsichtig, scharf, freigiebig mit Überraschungen. Sie gehen von einem so grundlegenden Schmerz aus, dass ihn wohl alle auf die eine oder andere Weise früher oder später erfahren: Es sind Bilder der Nacht. Die allerdings hoffen lassen: ‘Alte sollen Träume haben. Und es wird keine Kinder mehr geben, die nur wenige Tage leben. Wolf und Schaf weiden beieinander. Und jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn ein Kind ist uns geboren. Und die Herrschaft ruht auf seinen Schultern. Und er heißt: Friedefürst.’“