6 Tipps für schwere Lebensphasen gibt Georg Magirius in dem Beitrag „Auf der Suche nach dem Sinn der Passionszeit“. Er hat ihn im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern vom 9. März 2025 veröffentlicht. Die Redaktion hat Susanne Borée. Die Hilfen zeigen sich anschaulich, indem der Autor in der Nähe von Würzburg auf dem Mainwanderweg von Retzbach nach Karlstadt geht.
Hilfe 1: In Bewegung kommen
In schweren Lebensphasen fühlt man sich oft erstarrt. Die Gedanken kreisen, finden keine neue Richtung. Da hilft es, die Position zu wechseln. Das lässt sich oft konkret umsetzen, indem man sich an einen anderen Ort begibt.
„Am Ortsausgang von Retzbach geht es die Weinberge hoch. Ihn deshalb Leidensweg zu nennen, wäre kolossal übertrieben. Aber ganz ohne Mühe geht es wohl selbst durch die Genusslandschaft Mainfranken nicht. Oben empfängt den Wanderer ein Wegstock, der das Herz Jesu zeigt. Es ist durchbohrt, blutet.“ Dann aber geht es weiter, mit dem blauen M am Wald entlang. „Weit reicht der Blick über die sanft gewellte Landschaft. Das Auge ruht auf einem einzelnen Baum, der die Kürbishöhe verziert. Der Pfad führt in einen auffallend hellen Mischwald mit Kiefern und Birken. Dann ein Zaun mit Tür. Als ob sich ein Vorhang hebt, trete ich ins Freie. Weit ist der Himmel aufgespannt. Am Horizont die Erhebungen der Fränkischen Platte, davor Felder, unten der Main, von dem aus sich die Rebenreihen bis zu mir nach oben schwingen.“
Hilfe 2: Abkehr von der Selbstanklage
Wenn andere leiden oder man selbst, fragt man sich oft: Liegt es an mir? Bin ich schuld? Was hätte ich besser machen müssen? Solche Fragen führen selten weiter. Es hilft, sich bewusst zu machen: Auch andere sehen keinen Sinn darin, sich auf zerstörerische Weise anzuzweifeln. „Die Bedeutung des Karfreitags hat hierzulande abgenommen. Viele der Passions- und Karfreitagslieder im Evangelischen Gesangbuch werden kaum gesungen. Selbst Paul Gerhardts berühmtes Lied ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘ weckt gemischte Gefühle. Was ist die Ursache des schrecklichen Leidens? Der Gemeindegesang dürfte manche Stimme verlieren, wenn es zur Antwort kommt, einer rigorosen Selbstanklage. ‚Ist alles meine Last, / Ich hab es selbst verschuldet, / Was du getragen hast! / Schau her, hier steh ich Armer, / Der Zorn verdienet hat‘. Für das neue Gesangbuch, das 2028 erscheinen soll, stehen viele Passionslieder auf dem Prüfstand. Sie werden schlicht nicht mehr gesungen.“
Hilfe 3: Das Leben vereinfachen
Wer Schweres erlebt, fühlt sich oft überfordert. So vieles ist zusätzlich zu bedenken und zu tun! Da hilft es, das Leben einmal bewusst zu vereinfachen. Was eben noch wichtig erschien, wirkt ohnehin auf einmal nebensächlich. Auch deshalb ist vielen, nicht nur streng Gläubigen, die Wochen vor Ostern als Fastenzeit wichtig.
„Sich beschränken – das halten viele für sinnvoll. Sie sehnen sich nach einer Einfachheit, mit der sich die Schönheit des Leben wiederentdecken lässt. Meditationswege sind gefragt, das spirituelle Wandern und Pilgern.“ Dabei geht es darum, die einfachen Dinge auf neue Weise zu erleben. Etwa eine Rast – wie die auf der Steinweinhütte. „Sie hat ein Dach, aber keine Tür. Von den Bänken lässt sich ungehindert über das Maintal bis Würzburg schauen. Tafeln an den Wänden informieren über Rebsorten, darunter den Silvaner, die wohl bekannteste Weinsorte Frankens. Auf dem Boden ein Korken. An diesem Ort nähert man sich dem Wein also nicht nur theoretisch. Man scheint über dem Fluss zu thronen. Tief unten gleitet das eine oder andere Schiff vorbei.“
Hilfe 4: Du bist nicht allein
Wer leidet, fühlt sich oft isoliert. Viele denken: Den anderen geht es gut. Es schwer zu haben, ist dann peinlich. Man schämt sich auch dafür, es anderen schwer zu machen. Außerdem kann man mit den anderen, die fröhlich ihre Leistung bringen oder es auch nur behaupten, nicht recht mithalten. Auf dem Mainweg darf man anderes erleben, nämlich Entlastung.
„Der Weg erfindet immer neue Schleifen, bringt einen kaum noch richtig voran. Kein Schatten, der die Kraft der Sonne mildern könnte. Die Wasserflasche ist leer. Und dann noch ein Bildstock, der Jesu Leiden zeigt. Nur habe ich es so noch nie gesehen. Christus in der Kelter: zusammengestaucht, kleingemacht, wie ausgepresst. Schon von Berufs wegen fühlen sich Winzer eng mit dem Genuss verbunden. Trotzdem erkennen sie in Jesu Leiden offenbar Sinn. Die Darstellung kann aber auch jedem Nichtwinzer Trost vermitteln, der schon einmal eine unerträglich schwere Last auf sich gespürt hat. Sie zeigt: Man ist damit nicht allein.
Hilfe 5: Trotzdem Schönes spüren
Wer leidet, erlebt Schweres. Allerdings ist eins der größten Irrtümer und Vorurteile, dass man deshalb nicht mehr das Schöne sehen könnte. Oft verhält es sich sogar umgekehrt: Niemand will leiden. Zu Recht! Aber ist es da, tritt nicht selten gerade dadurch das Ganze vor Augen. Man sieht mehr. Der Sinn für alles Lebendige, das Schöne trotz allem wächst. Darauf macht der Mainwanderweg zwischen Retzstadt und Karlstadt ebenfalls aufmerksam:
„Am Wegrand eine Skulptur, die eine Frau zeigt. Ihre langen, sanft gewellten Haare fallen auf. Es ist Maria. Aber nicht Jesu Mutter, sondern jene Maria, von der das Neue Testament eine sonderbar kostbare Geschichte erzählt. Mit einem luxuriösen Nardenöl unterbricht sie eine diskutierende Männerrunde: Jesus war gerade heftig angegangen worden. Da tritt sie von hinten an ihn heran, beginnt zu weinen, wäscht Jesu Füße, salbt sie mit Öl, trocknet sie mit ihrem Haar. Jesu Füße warm, feucht von ihren Tränen. Jesus sagt nichts. Maria sagt nichts. Das Haus aber ist erfüllt vom Duft des Öls. ‚Verschwendung‘, heißt es schließlich von Jüngerseite. Das Geld für diese Salbe hätte man den Armen geben können. Und Jesus? Er scheint die Zärtlichkeit auf seiner Haut genossen zu haben: ‘Sie hat ein gutes Werk getan.’ Den Armen könne man immer Gutes tun. Er aber sei nicht immer bei ihnen. Da wusste er bereits von seinem Tod. Die Skulptur erinnert daran, wie verschwenderisch, schön und leidenschaftlich der Glaube sein kann.“
Hilfe 6: Sich Genuss erlauben
Wer Schweres erlebt, sollte sich das Genießen nicht versagen. Es lässt sich sogar neu erleben. Das zeigt Karlstadt, das Ziel Wegs, auf dem der Wanderer unterwegs ist. „Müde, aber auch erleichtert komme ich in Karlstadt an. Im Café Schrödl gibt es feinsinnige Pralinen und Torten. Seine Spezialität aber ist seit Jahrzehnten das Schrödl-Hörnchen. Ein flaches Plundergebäck mit einer nicht zu süßen Nussfüllung. Welch eine luxuriöse Einfachheit! Die Sinne sagen ungeniert Ja – selbst in der Fastenzeit. Denn am Sonntag und auf Reisen sind die Fastenregeln aufgehoben.“
Die Reihe GangART
Die Reportage “Auf der Suche nach dem Sinn der Passionszeit” lässt sich vollständig lesen hier. Sie ist angeregt von Spirituellen Wanderungen, die Georg Magirius in der Reihe GangART leitet. Von diesen Touren stammen auch die Fotos des Beitrags. Außerdem hat er mehrere Wanderbücher veröffentlicht, die Touren vorstellen, die der Seele und dem Körper auch in schweren Phasen gut tun: jüngst unter dem Lektorat von Melanie Zeuß das Buch “Frankenfreude – 33 überraschend schöne Orte”. Hinweise auf anstehende spirituelle Wanderungen finden sich immer hier.